Schützenköniginnen

Biathlon ist nicht nur Ausdauer, sondern auch Nervensache: Silber für die deutsche Staffel  ■ Aus Lillehammer Cornelia Heim

Es gibt Leute, die verweigern sich dem Dienst mit der Waffe, andere wählen ihn freiwillig. Und manche betreiben Schießen als Sport – erschwerend mit Ski unter den Füßen. Von Biathlon ist die Rede, einer jungen Sportart. Seit zwei Jahren schießen auch die Frauen bei Olympia scharf. Gestern stand die 4x7,5-km-Staffel auf dem Programm.

Es gibt Leute, die meinen, ein 4,5 Kilogramm schweres Gewehr habe in Frauenhänden nichts zu suchen. Von wegen: „Das Schönste am Biathlon ist das Schießen, das mache ich wahnsinnig gern“, widerspricht Uschi Disl. Und gestern liebte die 23jährige es ganz besonders inniglich. Jeder Schuß ein Treffer. Beim ersten Stelldichein am Schießstand, auf dem Boden liegend auf die 4,5 Zentimeter kleine Scheibe; beim zweiten, stehend auf die 11,5-cm-Scheibe. Die deutsche Staffel führt. Uschi Disl strahlt. Sie strahlt noch mehr, als auch Antje Harvey ein ruhiges Händchen beweist: „Heute haben wir das Schießen neu erfunden“, sagt sie, als ihre Teamkollegin bei der zweiten Runde am Schießstand Position bezieht. „Bisher lief Olympia so schlecht.“ Aber die Olympiasiegerin über 15 km von Albertville, die ein Virus acht Wochen lahmgelegt hatte, trifft: einmal, zweimal, schießt daneben. Lädt nach. Trifft. Keine Strafrunde. Schützenköniginnen.

Der Vorsprung auf Rußland ist auf über eine Minute angewachsen. Auch Sportwart Martin Löchle strahlt: „Unsere Sportart wird von Jahr zu Jahr populärer.“ Außerdem, wirft er den Kritikern entgegen, sei Biathlon historisch gesehen „die ursprünglichste Form des Skilaufens“. Jäger jagten ihr Wild auf Skiern. Daß dereinst Frauen an der Feuerstelle die Suppe rührten – na und? „Ihr wollt Euch doch emanzipieren.“ Für Langläufer Jochen Behle kommt Biathlon nicht in Frage: „Ich bin Spezialist.“ Dennoch, meint der Lebensgefährte von Schlußläuferin Petra Schaaf, „ist die Waffe keine Waffe, sondern nur ein Sportgerät.“ Uschi Disl: „Ich schieße doch nicht auf irgendjemanden, sondern auf schwarze Scheiben.“ Daß Biathletinnen beim Bundesgrenzschutz (Uschi Disl) oder bei der Bundeswehr (Antje Harvey) angestellt sind – purer Zufall. Oder anders: „Gute Spitzensportförderung“ (Sportwart Löchle). Simone Greiner-Petter-Memm geht ins Rennen. Die Fans wiegen sich im goldigen Glauben. Uschi Disl warnt: „Noch ist nichts entschieden.“ Antje Harvey schließt ihren Ehemann Ian, Biathlet ohne Olympia-Qualifikation, in die Arme: „Gott sei Dank, an mir kann es nicht gelegen haben, wenn's schiefläuft.“ Das Schöne am Biathlon? Sie überlegt kurz: „Das Unberechenbare.“ Das Schwierige? „Sich am Schießstand unter Kontrolle zu bringen.“ Ein langgezogener Anstieg, bevor die Läuferinnen das Gewehr anlegen. Der Puls wird nach oben gejagt. Die Hände zittern und sollen doch seelenruhig den schwarzen Punkt in fünfzig Meter Entfernung ins Visier nehmen. Simone Greiner-Petter-Memm versagt – einmal, zweimal, dreimal. Bundestrainer Uwe Müßiggang schlägt die Hände vors Gesicht: „Völlig unkontrolliert, unverständlich!“ Die Strafe – drei 150-Meter-Runden. Rußland übernimmt die Führung. Antje Harvey tapfer: „Wir dürfen ihr keinen Vorwurf machen.“ Biathlon sei Nervensache. Die Staffel bestehe aus vier Frauen. Eben.

Frau Bindestrich zittert weiter. Auch beim zweiten Versuch – drei Fahrkarten. Die Französinnen ziehen vorbei. Als Dritte übergibt die Studentin an Petra Schaaf, die „Nervenstarke“ (Uwe Müßiggang). Und bringt im Ziel den Schnee mit bitteren Tränen zum Schmelzen. Wir erinnern uns: „Das Schöne ist das Unberechenbare.“ Dreimal schießt Petra Schaaf vorbei. Dreimal darf sie nachladen. Und trifft. Keine Strafrunde. Dafür spielen bei Anne Briand die Nerven nicht mit. Die Französin muß nachsitzen, vielmehr -laufen. Die deutsche Staffel macht das Rennen um Silber hinter den Russinnen. Petra Schaaf: „Ende gut, alles gut.“