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NachrufHomo Ludens

■ Zum Tod des Bühnenbildners und Regisseurs Willi Schmidt

Es ist mehr als zwei Jahre her, daß ich Willi Schmidt in seiner turmartigen Wohnung hoch über den Dächern Berlins am Breitenbachplatz besuchte. Ich wollte etwas über den Theaterkritiker Friedrich Luft erfahren, den er ein halbes Jahrhundert lang gekannt hatte. Schmidt war sehr krank gewesen, ich machte mich auf einen 81jährigen Greis gefaßt. Aber in der Tür stand ein großer, zartgliedriger Mann mit einer jungenhaft-charmanten Ausstrahlung. Er bot einen Sherry an und erzählte bereitwillig – kaum von Friedrich Luft, aber von sich, daß heißt: von seiner Idee von Theater, die schon lange als verstaubt galt und die er mit aller Vehemenz stundenlang erörterte, weil er glaubte, daß die Zeit dafür wieder kommen würde.

Die Arbeit Willi Schmidts ist verknüpft mit der poetischen Dramatik, die in den 50er und 60er Jahren aus Frankreich und den USA ins dramatisch ausgedörrte Deutschland kam: Stücke von Giraudoux, Anouilh, Williams und O'Neill. Ihr Platz in Berlin war Boleslaw Barlogs Schiller- und Schloßparktheater. Schmidt inszenierte auch Molière, Hauptmann, Schiller, Goethe und Shaw, arbeitete auch in anderen Theatern als Regisseur und Bühnenbildner, aber wenn es in der Theatergeschichte Namen gibt, die eine Einheit bilden, dann gehören zu Schmidt sein Intendant Barlog, der Schauspieler Klaus Kammer, die Texte von Giraudoux – und die von Franz Kafka.

Werktreues, darstellerzentriertes Spiel war Schmidts Theater, ein Versuch, auf der Bühne eine magische zweite Wirklichkeit zu schaffen. Texte, die einer (Alp-)Traumlogik folgten, sich jenseits der realen Welt bewegten, waren dafür wie geschaffen. „Ich habe viel darüber nachgedacht, was das eigentlich bedeutet, daß wir spielen können. Das hat ja eine metaphysische Dimension, anders kann ich das nicht nennen. Wir können von unserem täglichen Dasein absehen, wenn wir Schauspieler sind. Und die da unten lassen sich auch darauf ein. Wir können den Tod spielen. Und dann fällt der Vorhang, und wir stehen auf und verbeugen uns. Wir können das Jenseits spielen, wir können Träume spielen, wir können eine utopische Welt spielen.“

Mit Zeittheater hatte Willi Schmidt nichts im Sinn. Unter Weltverbesserung konnte er sich nur vorstellen, die Menschen glücklich zu machen. Eine Illusion? Nein – wenn man den Kritiken glaubt. Ein Anachronismus? Sehr bald galt es dafür. Mit der allgemeinen Politisierung des deutschen Theaters geriet Schmidt ins Abseits, was ihn natürlich verbitterte: „Es hat eine lange Zeit gegeben, in der das Theater zur gesellschaftlichen Relevanz verdonnert war. Und wenn man dem nicht genügte, dann war man ein Schöngeist oder Ästhet, jedenfalls jemand, den man nicht zu beachten braucht.“

Willi Schmidt wurde 1910 in Dresden geboren, studierte zunächst Geisteswissenschaften, war dann Assistent des Bühnenbildners Rochus Gliese und arbeitete während der Nazizeit an der Berliner Volksbühne und am Staatstheater selbst als Bühnenbildner. Nach Kriegsende begann er zu inszenieren – weit über hundertmal. Zunächst am Deutschen Theater unter Wangenheim und unter Wolfgang Langhoff. Dem politischen Druck entzog er sich jedoch noch Ende der 40er Jahre und ging nach Westen. Hier unterrichtete er ab 1952 auch Bühnen- und Kostümbild an der Hochschule der Künste. Karl- Ernst Herrmann, Wilfried Minks und Susanne Raschig sind durch seine Schule gegangen. Zu Schmidts 80. Geburtstag erinnerten zwei Ausstellungen in Berlin an sein bildnerisches Gesamtwerk. „Die Bühne als geistiger Raum“ waren sie bezeichnenderweise überschrieben und präsentierten seine teilweise ironisch-zuckersüßen Szenarien, die offen und unverschämt Theaterhaftigkeit ausstellten.

Schmidt gehörte zu den letzten Theatermachern der Nachkriegsgeneration. Sein Tod am 23. Februar, wenige Wochen nach seinem 84. Geburtstag, hinterläßt heute keine sichtbare, wohl aber eine ideelle Lücke. Er wollte dem Theater dienen, nicht: sich seiner bedienen. Theater war für ihn eine existentielle Möglichkeit, ein poetischer Ort der Selbstenthebung. Das ist nicht gegen die Zeit, sondern außerhalb der Zeit gedacht. Petra Kohse

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