Englands Schwierigkeiten sind Irlands Gelegenheit

■ Zusammenarbeit von IRA und Wehrmacht war geplant und scheiterte dann doch

Es ist noch nicht lange her, daß deutschen Urlaubern in irischen Pubs manchmal ein fröhliches „Heil Hitler!“ entgegenschallte. Die dumpfe Begrüßung war durchaus freundlich gemeint, hatte man doch in der Vergangenheit gemeinsam gegen England gekämpft. Seit sich die Berichte über rechtsextreme Gewalt in Deutschland häufen, ist die faschistische Grußformel seltener geworden. Über die Zusammenarbeit mit den Nazis während des Zweiten Weltkrieges hat es dagegen nie eine Debatte gegeben.

Der Krieg hieß in Irland „Emergency“. Das bezog sich darauf, daß bestimmte Lebensmittel rationiert werden mußten. Ansonsten war der Freistaat stark mit seiner eigenen Geschichte beschäftigt. Im Jahre 1932 wurde Eamon de Valera zum irischen Regierungschef gewählt. De Valera hatte sich 1926 von der IRA getrennt und Fianna Fail (Soldaten des Schicksals) gegründet, die Irland mit kurzen Unterbrechungen bis heute wie ein Familienclan regiert haben. Seit seinem Amtsantritt bemühte er sich um eine Entspannung der Beziehungen zu England. Unterdessen hatte sich etwa 1938 in der IRA der Flügel durchgesetzt, der auf Gewalt setzte. Der Anführer Sean Russell hatte bereits im August 1936 angekündigt, daß die IRA zu den Waffen greifen werde, wenn ein Krieg zwischen Großbritannien und Deutschland ausbrechen sollte.

Im Januar 1939 begann die IRA eine Bombenkampagne in England. De Valera befürchtete, die Anschläge könnten eine englische Gegenreaktion provozieren, und erklärte, daß Irland in einem Konflikt der Weltmächte neutral bleiben werde. Damit wollte er der IRA eine Abgrenzung von englischen Interessen signalisieren. Gleichzeitig war das eine Warnung an England, daß ein irisches Engagement auf englischer Seite einen erneuten Bürgerkrieg auslösen würde, in den auch Nordirland hineingezogen werden könnte.

Im Prinzip war auch die deutsche Regierung nicht daran interessiert, irgend etwas zu unternehmen, was Irland in die Arme Englands treiben könnte. So entsandten die Nazis etwa ein Dutzend Spione, darunter Hermann Görtz vom Oberkommando der deutschen Wehrmacht, der die IRA überreden sollte, ihre Aktivitäten auf Spionagearbeit gegen Großbritannien zu konzentrieren. Die Kooperation, die immer wieder Verständigungsprobleme und beiderseitiges Mißtrauen überwinden mußte, scheiterte letztendlich an den unterschiedlichen Interessen: Die IRA hoffte, daß ein deutscher Angriff auf England den Weg für ein vereintes Irland frei machen würde, während die IRA in den Augen der Nazis von Anfang an nur als fünfte Kolonne für Spionage oder Sabotageakte in England in Frage kam.

Die IRA hielt sich außerdem nicht an den deutschen Wunsch, ihre Aktivitäten auf England zu beschränken. Weihnachten 1939 überfiel sie in Dublin das Munitionslager der Armee und erbeutete dreizehn Lastwagen voller Waffen und Munition. Mein Schwiegervater John Lyons, der den Überfall geleitet hatte und dafür zu 35 Jahren Gefängnis verurteilt wurde, sagte später: „Die deutschen Interessen waren uns bei der Planung der Operation völlig egal. Wir haben lediglich nach der jahrhundertealten Maxime gehandelt: Englands Schwierigkeiten sind Irlands Gelegenheit.“ Ralf Sotscheck, Dublin