Lieber mehr Kanäle als besseres Bild in der Glotze

■ Das hochauflösende Superfernsehen ist am Ende: Auch Japan gibt das Projekt auf

Berlin (taz) – Grund zur Schadenfreude bei der europäischen Unterhaltungselektronikindustrie: Nicht nur sie hat Milliarden – zum großen Teil öffentliche – Forschungsmittel in den Sand gesetzt. Auch das japanische Telekommunikationsministerium hat den Ausstieg aus dem Prestigeprojekt des Hochauflösenden Fernsehens (HDTV) angekündigt.

Akimasa Egawa, Chef der Abteilung für Fernsehangelegenheiten, sprach die entscheidenden Worte aus: „Der Trend in der Welt geht hin zum Digitalen.“ Egawas Ministerium plant ein digitales Fernsehsystem mit möglichst hoher Bildqualität, bis zum Sommer sei eine endgültige Entscheidung zu erwarten.

Damit sind zehn Jahre Forschung zur Disposition gestellt. Japanische Entwicklungen für ein Fernsehsystem mit etwa doppelter Bildqualität, übertragen im sogenannten „MUSE“-Verfahren, hatten Mitte der achtziger Jahre die Europäer dazu gezwungen, ein eigenständiges System zu entwickeln. Beide Ansätze beruhten auf der analogen Nachrichtentechnik. Während die Europäer nicht über Testsendungen hinausgekommen sind – so eben wieder aus Lillehammer –, gibt es in Japan seit drei Jahren ein regelmäßiges HDTV-Satelliten-Programm. Mehr als 20.000 Empfangsgeräte für die neue Technologie wurden bisher trotzdem nicht verkauft – kaum verwunderlich bei Preisen von immer noch mehr als 10.000 Mark.

Seit etwa drei Jahren zeichnete sich in den USA ab, daß die Datenmengen eines Fernsehbildes auch im qualitativ höherwertigen digitalen Verfahren zu übertragen sind. Techniken, die bis zum Golfkrieg der militärischen Geheimhaltung unterlagen, wurden plötzlich auch für zivile Anwendungen nutzbar. Amerikanische Entwicklungsabteilungen waren wieder technologisch an der Spitze. Schon im vergangenen Jahr zwang dieser unerwartet rasche Wandel die Europäer, sich klammheimlich von ihrem analogem System „HD-MAC“ zu verabschieden. In nur neun Monaten wurde ein Übertragungsstandard für digitales Fernsehen definiert.

Daß Japan folgen werde, war nur eine Frage der Zeit. Zwar hat Egawas Satz panische Reaktionen in der japanischen Elektronikindustrie hervorgerufen, die traditionellerweise den Dissens mit der Regierung meidet. Experten aber sind sicher, daß die japanischen Tüftler schnell eigene Vorschläge für ein digitales HDTV aus der Schublade ziehen können.

Doch auch das könnte überflüssig sein. Um HDTV ist es auffällig still geworden. Die Digitalisierung des Fernsehens wirft die Frage auf, ob Quantität nicht doch lukrativer sei als Qualität. Über einen herkömmlichen Fernsehkanal läßt sich in Zukunft entweder ein HDTV-Bild übertragen oder vier bis zehn Programme in der heute gewohnten Qualität. Und da HDTV-Produktionen teurer sind, haben sich vor allem private Anbieter weltweit für Quantität statt Qualität entschieden. HDTV liegt im Koma. Hunderte von normalen Fernsehkanälen in digitaler Technik sind gefragt. Jürgen Bischoff