„Siedlungen in der Westbank auflösen“

■ Weitere Konflikte sind vorprogrammiert, sagt der israelische Publizist Uri Avneri

taz: Gefährdet das Massaker von Hebron die Verhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis?

Uri Avneri: Nein. Es zeigt aber, daß eine der Grundlagen des in Oslo geschlossenen Abkommens fast unmöglich eingehalten werden kann. Nämlich die, wonach alle jüdischen Siedlungen mindestens die nächsten fünf Jahre bestehen bleiben sollen. Diese Siedlungen sind zum Großteil von fanatischen, Araber-feindlichen, ultrareligiösen und rechtsradikalen Leuten errichtet worden mit dem Zweck, die Rückgabe der besetzten Gebiete an die Palästinenser zu verhindern. Die Idee, sie könnten dort bestehen bleiben, während in der Interimsperiode die Grundlagen zu einem palästinensischen Staat gelegt werden, ist beinahe absurd. Es war von Anfang an klar, daß der fanatische Teil der Siedler alle möglichen Provokationen verüben wird, um die Friedensverhandlungen zu unterbinden.

Wie können in Zukunft solche Massaker verhindert werden?

Solange die Siedler dort sind, überhaupt nicht. Besonders in Hebron ist die Lage prekär – mehr als an irgendeinem anderen Ort. Die faschistische Kach-Bewegung hat dort in der Siedlung Kiriat Arba ihren Sitz. Zudem haben sie in Hebron selbst eine Siedlung etabliert. Sie haben heute ein jüdisches Viertel mitten in der Stadt. Dessen Bewohner verüben nahezu täglich Provokationen. Sie überfallen arabische Händler und zerstören deren Gemüsestände. Mehrfach haben dort jüdische Siedler Araber getötet. Die Schuldigen sind mit ganz lächerlichen Strafen davongekommen, beispielsweise drei Monate Haft.

Was müßte die israelische Regierung tun, um die Lage zu beruhigen und um das „Gaza-Jericho- Abkommen“ funktionsfähig zu machen?

Sie müßte allen jüdischen Siedlern verbieten, arabische Städte und Dörfer zu betreten und die Siedlungen an den empfindlichsten Orten sofort auflösen. Sie müßte die Überwachungsmaßnahmen gegenüber den Siedlern verschärfen. Zudem müßten internationale Kräfte, die im Oslo-Abkommen vorgesehen sind, an diesen brenzligen Orten stationiert werden. In dem Abkommen gibt es einen verschwommenen Paragraphen über die Anwesenheit solcher Kräfte. Es ist aber nicht geregelt, um welche Kräfte es sich handeln soll. Darüber ist noch nicht verhandelt worden, weil die israelischen Behörden dies ablehnen.

Könnten das UN-Blauhelmsoldaten sein?

Ja, aber auch amerikanische Einheiten.

Ist diese Forderung im Moment politisch durchzusetzen?

Das hängt ganz von der Regierung ab. Die sofortige Auflösung bestimmter Siedlungen ist in Israel eine sehr populäre Forderung. Die Siedler sind beinahe in allen Lagern der öffentlichen Meinung unglaublich unpopulär, sogar auf der rechten Seite. Meine Freunde und ich haben schon vor fünf Monaten von der israelischen Regierung gefordert, eine Institution einzurichten, um Siedler aus den besetzten Gebieten nach Israel zurückzuholen, sie hier anzusiedeln und ihnen Entschädigungen zu zahlen. Diese Forderung ist von einigen Abgeordneten der Arbeiterpartei übernommen, von Ministerpräsident Rabin aber abgelehnt worden. Noch letzte Woche hat Rabin gefordert, daß alle Siedler dort bleiben sollen, wo sie sind. Dabei ist ein großer Teil der Siedler bereit, zurückzukommen. Auf der einen Seite gibt es die ultrareligiösen und rechtsradikalen, auf der anderen Seite sind aber auch viele der Siedler dort nur hingegangen, weil es dort billige Wohnungen gab. Ein Teil von ihnen hat erklärt, sie würden nach Israel zurückkomen, wenn sie Entschädigungen bekämen. Aus unverständlichen Gründen hat Rabin das abgelehnt. Er sollte diese Entscheidung im Lichte des Massakers überdenken. Interview: Thomas Dreger

Uri Avneri ist Journalist in Tel Aviv und gehört der Friedensbewegung an.