Handel mit Leichenteilen in der Privatwohnung

■ Krankenhäuser drohen Pharmaunternehmen mit Strafanzeige / Jetzt auch Hamburger Staatsanwaltschaft aktiv / Berlins Gesundheitssenator unter Druck

Nachdem die taz gestern eine Liste mit 91 Kliniken veröffentlichte, die angeblich mit Leichenteilen gehandelt haben, drohen nun vereinzelt Krankenhäuser mit einer Strafanzeige gegen das Pharmaunternehmen Braun/Melsungen. Der Chefpathologe des städtischen Krankenhauses München- Schwabing, Karlheinz Wurster, verdächtigte gestern den hessischen Medikamentenhersteller übler Nachrede. Auf Anforderung der zuständigen Gesundheitsministerin Iris Blaul (Bündnis90/ Grüne) mußte die Braun AG ihre Lieferanten benennen, zu denen auch zehn bayrische Kliniken gehören sollen. Das städtische Krankenhaus habe 100prozentig nicht an Braun geliefert, versicherte Wurster. Er werde sich dafür einsetzen, daß die Pharma-AG nicht länger das Gegenteil behaupten dürfe, sagte er gegenüber der taz.

Auch Berlins Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) soll Strafanzeige gegen Braun/Melsungen wegen des Verdachtes der Bestechung und des illegalen Handels mit Organteilen stellen. Dies forderte gestern die Fraktion Bündnis90/Grüne. Ihrem gesundheitspolitischer Sprecher Bernd Köppl ist offenbar ein Fall bekannt, in dem Schweigegeld an einen Klinikmitarbeiter gezahlt worden sein soll.

Der ärztliche Direktor des Universitätsklinikums Rudolf Virchow (UKRV), Eckart Köttgen, hatte den Gesundheitssenator bereits im Dezember gebeten, gegen Braun/Melsungen vorzugehen. Der Klinikchef sagte der taz, dem hessischen Unternehmen sei bekannt gewesen, daß nicht sein Klinikum, sondern entgegen aller Dienstbestimmungen ein Sektionsgehilfe Hirnhäute geliefert habe. Die Präparate sollen außerhalb des Krankenhauses, vermutlich in der Privatwohnung des Angestellten, an einen Zwischenhändler oder einen Mitarbeiter von Braun/Melsungen übergeben worden sein. Dort habe der Lieferant Postschecks erhalten. Luthers Verwaltung überlegt nun, doch noch eine Strafanzeige gegen Braun/Melsungen zu stellen.

Nachdem in Berlin und Kassel bereits ermittelt wird, hat sich nun auch in Hamburg die Staatsanwaltschaft eingeschaltet. Sie prüft, ob im Allgemeinen Krankenhaus Heidberg der Straftatbestand der „Störung der Leichenruhe“ erfüllt ist und die Krankenhausleitung Strafvereitelung begangen hat. Die Leitung hatte Ende des Jahres zwar zwei Mitarbeiter abgemahnt, die illegal Hirnhäute weiterverkauft hatten – doch die Strafverfolger wurden nicht informiert.

Die Liste mit den 91 Krankenhäusern hatte Gesundheitsministerin Blaul im Dezember an ihre Kollegen in allen Bundesländern versandt. Doch wie gestern das Sozialministerium in Bayern einräumte, wurden hier die betroffenen Krankenhäuser nicht informiert. „Wir dachten, daß der Handel mit Leichenteilen legal ist“, sagte Ministeriumssprecher Albert Limmer. Auf den Verdacht, daß vermutlich in allen Fällen, wo die Krankenhäuser von Lieferungen nichts wissen, Sektionsangestellte mit Gewebe, aber auch mit ganzen Gehirnen und Prothesen sich ihren Lohn heimlich und unerlaubt aufstocken, sei man erst auf Grund des taz-Berichts gekommen, sagte Limmer.

In Sachsen-Anhalt ging die Liste zwischen Regierung und Krankenhäusern verloren. Obwohl das Sozialministerium versicherte, Wissenschaftsminister oder zuständige Magistrate informiert zu haben, soll etwa im Altstadt-Krankenhaus von Magdeburg keine Nachricht angekommen sein.

Von Braun/Melsungen war gestern keine Stellungnahme zu erhalten. Dirk Wildt