Am Ende war ich oft leergeschrieen

■ Theater von hinten (3): Die Souffleuse Uta von Sohl kommt mit Flüstern beileibe nicht hin, und schon gar nicht in der Oper

Seit neun Jahren ist Uta von Sohl Souffleuse am Bremer Theater, doch das letzte Mal, als sie im Souffleur-Kasten saß, liegt schon vier Jahre zurück. Es gibt kaum noch Souffleur-Kästen, sagt von Sohl. „Die Regisseure wollen die Rampe bespielen, das ist so eine Art Modeerscheinung.“ Für sie bedeutet das Fehlen der Kästen, daß sie von der Seite soufflieren muß. „Schrecklich. Die Seitenbühne schluckt den Schall, außerdem habe ich nicht den ständigen Augenkontakt zu den Sängern. Dann sitzt da noch der Feuerwehrmann, der sein Butterbrot auspackt. Nein, also nichts geht über den Souffleur-Kasten.“

Schon als Kind zog es sie immer wieder zum Theater. Damals gab es am Mannheimer Nationaltheater Dauereintrittskarten, die sie von ihrem Onkel, der für's Feuilleton schrieb, ausleihen konnte. Der Familie war es gar nicht recht. Zur Abschreckung wurde sie zu „Alceste“ von Gluck mitgenommen. Aber anstatt dem Theater fernzubleiben, nahm sie sich zur Verzweiflung ihrer Eltern die Texthefte vor. „Ich habe eine wahnsinnige Beziehung zu Worten“, sagt sie.

Doch der berufliche Weg ins Theater war verbaut: „Bei uns zu Hause waren Pfarrer und Lehrer angesagt. Aber da hatte ich nun überhaupt keinen Bock drauf.“ Nach drei Semestern Germanistik-Studium trickste sie ihre Eltern aus, indem sie rasch einen Bremer Spediteur heiratete. „Der Entschluß war gut“, findet sie, auch wenn sie heute längst wieder geschieden ist. Denn kaum ein Jahr später bewarb sie sich beim Bremer Theater als Statistin. Schon nach wenigen Monaten leitete sie die Statisterie. Einige Jahre machte sie Regieassistenz, dann kam der große Knall.

„Als man mich damals gefragt hat, ob ich den Vogelhändler soufflieren könnte, war das wie Weihnachten, Sylvester, Kindergeburtstag, alles in einem!“ Seitdem ist Uta von Sohl Souffleuse am Bremer Theater. Und das mit einer sprühenden Begeisterung: „Ich wußte sofort, das ist es!“ Selber nennt sie sich eine „Will-Souffleuse“, im Gegensatz zu den „Muß-Souffleusen“. Zu neunzig Prozent leisten ehemalige SchauspielerInnen oder TänzerInnen diese Arbeit.

Zur Vorbereitung nimmt sie sich den Klavierauszug vor, kauft sich die CD, setzt sich hin und lernt alles auswendig. Für die italienischen Opern hat sie als Bildungsurlaub einen Crash-Kurs gemacht, um das Opern-Vokabular , also hauptsächlich Worte wie „Dolch“ und „Blut“ zu pauken. Und den ausländischen SängerInnen bringt sie im Gegenzug „in einem stillen Kämmerlein“ auch mal ein bißchen die deutsche Aussprache bei.

In der Probenzeit habe man kein Privatleben mehr, sagt sie. Sie muß bei jeder Probe dabei sein und immer in höchster Konzentration. „Die Sänger brauchen fast jedes zweite oder dritte Wort. Denn sie müssen erst die Verbindung zwischen Text, Bewegung und Musik finden. Da gab es Opern, da war ich nach drei Wochen leergeschrieen.“

Manchmal muß sie tatsächlich laut sein, schon allein um das Orchester zu übertönen. Bei den Proben sitzt sie in Sicht- und Rufweite des Regisseurs, um so jede Textveränderung zu erfassen. „Wir hatten eine Stelle, wo die Sängerin, eine Engländerin, das Wort sechzehn singen sollte. Das kriegte sie nicht hin, also haben wir fünfzehn daraus gemacht.“

Wenn etwas Unvorhergesehenes auf der Bühne passiert, geht bei Uta von Sohl der Alarm. Im Schreckmoment kommen die SängerInnen immer raus. Und sonst? Sie spürt es vorher, sagt sie. Sie sieht den hilflosen Blick, und sie kennt ja auch die Stellen, mit denen die Sänger hadern: „Wo man weiß, da ist er sterblich, da gibt man eben mehr.“ Auch wenn andererseits, wie sie argwöhnt, das Publikum dankbar für jede Panne ist. Vivianne Agena