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Eine schräge Sache

Short Track ist Eisschnellauf für Kleingeratene / Wer die Kurve am besten kratzt, gewinnt; es sei denn, er schubst ein bißchen zu viel  ■ Aus Hamar Cornelia Heim

„Ist man mit Verrückten verrückt, so hat man weniger Unannehmlichkeiten, als wenn man ganz allein vernünftig ist.“ (Denis Diderot)

Stelle vier rasende Eisschnelläuferinnen auf einen Bahn-Winzling von 111 Metern mit extrem engen Kurven und siehe, was passiert: Die Kufenspitze kratzt ins Eis. Das Quartett steht Pferdchen mit angewinkelten Hufen gleich. Statuenartig. Plötzlich lösen sie sich aus ihrer Starre, die Kufen hacken übers Eis, als ob sie Eiswürfel für den nächsten Longdrink zubereiten sollen. Krak, krok, krak. Cathy Turner verlangsamt, sie will nicht als erste in die schmale Kurve. Das Rennen dauert noch 9,5 Runden. Die amerikanische Goldmedaillengewinnerin hängt sich in den Windschatten.

Short-Track, die Eisschnellauf- Abart, ist ein taktisches Spielchen, ein Rennen gegen die Rivalinnen der Rennbahn, weniger gegen die Uhr. 1.000 Meter Halbfinale in Hamar. Dort wo am Vortag noch die Eiskunstläuferinnen ihre Pirouetten drehten, geht es zu wie beim Sechstagerennen. Jetzt legt sich der Viererpack Mensch in die enge Kurve. Die Seitenlage ist so extrem, daß der Schlittschuh das Eis streift, sich Cathy Turner nahe der Horizontalen mit ihreder linken Hand abstützt, um nicht etwa aus der Bahn getragen zu werden. Die Arme schwingen dabei wie überzogene Pendel einer Standuhr. Um das Gleichgewicht zu wahren. Um die Gegnerinnen auf Distanz zu halten.

Da – die 31jährige ehemalige Rocksängerin stolpert – fängt sich wieder – hat eine Lücke entdeckt – schiebt sich außen vorbei – nein, taucht doch lieber innen auf der nur 28,85 Meter langen Geraden durch. Mit der Höchstgeschwindigkeit (40 km/h) muß sie den engsten Radius fahren. Dan Jansen, 1.000m-Olympiasieger beim großen Bruder Eisschnellauf, Weltrekordhalter über 500 m und früherer Short-Track-Anhänger, hatte sich vor Tagen noch selbst widersprochen: „Für eine Kurve kann man nie zu schnell sein.“ Und prompt hat ihn über die 500-Meter-Distanz die Fliehkraft eines Besseren belehrt.

Zwei Läuferinnen werden vom rabiaten Überholmanöver Cathy Turners in arge Mitleidenschaft gezogen. Diese überquert als erste den Zielstrich. Reckt die Arme, wähnt sich als Siegerin. Und hat doch verloren – disqualifiziert. Behindern gilt nicht.

Es fliegen viele. Straucheln, rutschen, ziehen Mitläuferinnen mit, rutschen im Knäuel – peng – knallen gegen die Matten, welche an der Bande wohlweislich als Auffanglager dienen. Ein Spektakel im Vergleich zum betulicheren Paarlauf auf der 400m-Bahn. Das Amphitheater ist ausverkauft. Was die Olympiahalle in Hamar nur war, als Norwegens Volksheld Johan Olav Koss Rekord um Rekord lief. Gunda Niemann entschwand Gold vor halbleeren Rängen.

Short Track, in Albertville olympisch geadelt, hat trotz seiner olympischen Unreife Tradition. Um 1910 in Mittelengland entstanden, fand das Schlittschuh-Verfolgungsrennen besonders in Nordamerika Nachahmer. Der Grund ist praktischer Natur – es gab mehr kleine als große Hallen. 1932 in Lake Placid beim „pack style“ spielten die Europäer nicht mit. Amis und Kanadier gewannen zehn der zwölf Medaillen. 60 Jahre später hatten die Koreaner aufgeholt – zwei der vier Goldmedaillen waren ihre.

Verfechter des gediegenen Rundenlaufs halten Short Track immer noch eher für Kirmes denn Sport. Bundestrainer Helmar Gröbel: „Eisschnellauf ist die klassische Disziplin“, Massenauflauf beim Short Track taktisches Geplänkel. Eine ganz schräge Sache eben.

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