■ Lesetip
: Schon Einstein träumte davon

Am Anfang dieses Jahrhunderts sind zwei physikalische Theorien entstanden, die nicht nur die Physik, sondern auch das Weltbild der Physiker drastisch verändert haben: die allgemeine Relativitätstheorie und die Quantenmechanik. Während die Relativitätstheorie mit der Vorstellung Schluß machte, daß Raum und Zeit unabhängig voneinander und von eventuellen Beobachtern existieren und stets den Gesetzen der rechtwinkligen – euklidischen – Geometrie gehorchen, hat die Quantenmechanik an die Stelle exakter Orts- und Geschwindigkeitskoordinaten Wahrscheinlichkeitsverteilungen gesetzt.

Die Relativitätstheorie und ihre Gleichungen sind zum unverzichtbaren Handwerkszeug der Astronomie und Kosmologie geworden, die sich mit sehr großen Dimensionen beschäftigen. Die Quantenmechanik wirkt sich vor allem in sehr kleinen Dimensionen aus – etwa in der Elementarteilchenphysik. Im allgemeinen können die Physiker also damit leben, daß in den Gleichungen der Relativitätstheorien keine Quanten vorkommen und in den Gleichungen der Quantenmechanik keine Krümmungen der Raumzeit.

Es gibt jedoch Bereiche der Physik, in denen relativistische und quantenmechanische Effekte berücksichtigt werden müssen – etwa dort, wo die Raumzeit durch den Einfluß dieser Krümmung auf Elementarteilchen oder elektromagnetische Strahlung – von beidem gibt es im Weltall genug – nicht mehr vernachlässigbar ist. Hier müßte eine „einheitliche Theorie“ her, die beide Theorien verbindet. Auch bei der Frage nach den ersten Sekundenbruchteilen des Weltalls, dem Urknall, kommt man ohne eine solche übergreifende Theorie nicht weiter. Daher wird seit siebzig Jahren danach gesucht – bisher ohne Erfolg.

Der britische Physiker Stephan W. Hawking hat unter dem Titel „Einsteins Traum“ eine Reihe von Aufsätzen veröffentlicht, in denen auch für Leser ohne physikalische Vorkenntnisse die Grundideen von Relativitätstheorie und Quantenmechanik verständlich werden. Er schildert aktuelle Modelle des Universums und versucht aufzuzeigen, in welcher Richtung nach der allgemeinen Theorie gesucht werden müßte, von der schon Einstein geträumt hat. Er verzichtet dabei – wie schon in „Eine kurze Geschichte der Zeit“ fast vollständig auf physikalische Gleichungen, was vielen Lesern entgegenkommen dürfte. Für physikalisch vorgebildete Leser fehlt leider ein Hinweis auf die Literatur, in denen die Formeln nachgelesen werden können.

Hawking ist nicht nur durch seine wissenschaftlichen Leistungen und seine Fähigkeit, komplexe Physik anschaulich darzustellen, bekannt – er dürfte auch der berühmteste Rollstuhlfahrer Europas sein. Wer sich nicht nur für den Physiker, sondern auch für die Person Hawking interessiert, findet in den autobiographischen Texten des Buches viel Lesenswertes.

Der Aufsatz „Meine Erfahrung mit ALS“ sollte zur Pflichtlektüre all derer gemacht werden, die meinen, daß das Lebensrecht Behinderter Gegenstand akademischer Diskussion sein kann. Ute Finckh

Stephan W. Hawking: „Einsteins Traum, Expeditionen an die Grenzen der Raumzeit“, Rowohlt 1993, 190 Seiten, 36 DM.