Gibt's noch russische Reformer?

Finanzminister und Notenbankchefs der G7 ließen sich am Samstag von den neuen Moskauer Ministern ihre Wirtschaftspolitik erklären  ■ Aus Kronberg Donata Riedel

Alexander Schochin und Sergej Dubinin, seit kurzem Wirtschafts- und Finanzminister Rußlands, sind zufrieden. „Wir wollten vor allem ein gutes Arbeitsverhältnis zu unseren Kollegen aufbauen“, sagte Schochin am Samstag abend nach seinem Treffen mit den Finanzministern und Notenbankchefs der G7. Die Kollegen aus den USA, Japan, der Bundesrepublik, Frankreich, Großbritannien, Italien und Kanada äußerten vorsichtig ihre Erleichterung darüber, daß sich die Minister der neuen Regierung wie ihre Vorgänger als Marktwirtschaftler verstehen und die Reformen weiterführen wollen. Besonders Dubinin hatte zunächst einen schweren Stand, denn sein Vorgänger Boris Fjodorow zählte zu den Lieblingsreformern der US- Amerikaner und Westeuropäer.

Nach dem Wahlerfolg des Rechtsextremen Schirinowski und der Regierungsumbildung wollten die Regierungen der sieben wichtigsten Industrienationen endlich wissen, was aus dem russischen Reformprozeß wird. Vor einem Monat hatte darum Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) zum G-7-Treff ins Schloßhotel von Frankfurts Nobelvorort Kronberg eingeladen. Von Dubinin und Schochin hörten sie nun zunächst Beruhigendes: Die monatliche Inflation, heute 20 Prozent, soll Ende 1994 auf jeden Fall unter zehn Prozent liegen. „Realistisch sind sieben bis neun Prozent“, sagte Dubinin. Das Haushaltsdefizit soll Ende 1994 nicht mehr als fünf Prozent der Wirtschaftsleistung betragen.

Die G-7-Finanzminister rangen sich nach diesen Versprechungen der Russen zu einem Lob für die Privatisierung durch, kehrten aber danach zu ihren altbekannten Forderungen zurück. Ein „starkes Stabilisierungsprogramm“ sei nötig, um mehr Unterstützung vom IWF zu bekommen, sagte US-Finanzminister Lloyd Bentsen. Der Internationale Währungsfonds und die Weltbank – deren Politik die G-7-Regierungen als Mehrheitsaktionäre bestimmen – könnten nur dann das versprochene Hilfsgeld auszahlen, wenn Rußland die Voraussetzungen dafür schaffe.

Hinter den alten Sprechblasen verbirgt sich jedoch ein neuer Streit um den richtigen Hilfsweg für Rußland. Wie aus Delegationskreisen verlautete, ist die Clinton- Regierung durchaus bereit, über den IWF und die Weltbank weitere Dollarmilliarden lockerzumachen, um die Härten der Wirtschaftsreformen sozial abzufedern. Dieses Ansinnen habe vor allem die Bundesregierung zurückgewiesen. Als Kompromiß soll erst mal noch nicht ausgezahltes Weltbankgeld „helfen, die sozialen Probleme anzugehen“, sagte Bentsen.

Während sich nach den Verhandlungen Dubinin und Schochin am Kamin im Foyer der Presse als Reformerteam präsentierten, wanderte ihr härtester Gegenspieler weitgehend unbeachtet durch die Gänge des alten Schlosses. Viktor Geraschenko, dem der britische Economist kürzlich den Titel „schlimmster Zentralbanker der Welt“ verlieh, grummelte über die „unverantwortliche Berichterstattung“ der Westpresse, nannte dann aber doch noch seine Prioritäten in der Wirtschaftspolitik: Die Industrie müsse weiter unterstützt werden, solange es keinen Wettbewerb gebe – mit Zentralbankkrediten, für die Geraschenko weiterhin neue Rubelnoten drucken wird. „Man soll nicht glauben, daß die Zentralbank das Problem der Inflation lösen könne“, sagte er.

Daß die G7 auch am Samstag in ihren Absichtserklärungen gegenüber Rußland höchst vage blieben, liegt nicht nur an den Schwierigkeiten, die Machtverhältnisse zwischen Geraschenko und den neuen Ministern richtig einzuschätzen, sondern auch an der Änderung der Tagesordnung. Zwischen dem Tag der Einladung und dem des Treffens kam es zu Turbulenzen an den Finanzmärkten, näherten sich Japan und die USA einem Handelskrieg, und in Deutschland erwies sich die Rezessionsphase als länger als erwartet. So sprachen die G7 am Vormittag lieber über die Weltwirtschaft als über Rußland.

Als offizielle Botschaft verkündeten sie anschließend, daß die weltweite Rezession vorbei sei, mit der Einschränkung, daß das für Deutschland und Japan noch nicht gelte. Die langfristigen Zinsen – die für die Investitionsneigung von Unternehmern entscheidend sind – seien erfreulich niedrig. Alle Teilnehmer des Treffens betonten, daß die Arbeitslosigkeit, die im März Thema eines weiteren G-7-Treffens in Detroit sein wird, das größte Problem der Industrienationen sei. Nach dieser Feststellung war es dann vorbei mit der Einigkeit. Lloyd Bentsen meinte, die Arbeitslosigkeit sei vor allem ein Nachfrage-Problem, das am ehesten die Japaner lösen könnten: Wenn Japan mehr Waren einführen und weniger exportieren würde, dann könnten in den USA und Europa neue Arbeitsplätze entstehen. Demgegenüber betonte der italienische Finanzminister Piero Barucci, daß die Arbeitslosigkeit sich nicht einfach durch ein mehr an Produktion lösen lasse, sondern ein strukturelles Problem sei. Die G7 müßten umdenken, „sonst bleibt die Arbeitslosigkeit das Problem dieses Jahrzehnts“.