Hamburgs Aluminium: Eine Chronik

Mitte der 60er Jahre: Hamburg plant seine schwerindustrielle Aufrüstung. Ein Kranz von Grundstoffindustrien an der Elbe, gespeist vom neuen Energiequell Atomstrom, soll die Zukunft sichern. Die HEW steigen ins Atomgeschäft ein und beteiligen sich am AKW Stade. Verzweifelt wird nach industriellen Stromabnehmern gefahndet.

Mai 1969: Senat und der US-Alu-Gigant Reynolds unterzeichnen einen Ansiedlungsvertrag. SPD-Wirtschaftssenator Helmuth Kern damals: „Das ist ein Schallmauerdurchbruch der Wirtschaftsförderung“.

Finanzwunder 1970: Im September 1970 beginnt in den Obstbauernmarschen an der Süderelbe der Bau eines integrierten Hütten- und Walzwerkes. 10 Prozent der Anteile liegen beim Senat, 90 Prozent bei Reynolds. Mit direkten und indirekten Subventionen von 230 Millionen Mark, einer vom Senat abgesicherten Bürgschaft der staatlichen Landesbank von 382 Millionen Mark und einer extrem billigen Geländepacht hatte sich Hamburg eine Zusage für Investitionen von 640 Millionen Mark erkauft. Von dieser Gesamtsumme flossen gerade einmal 30 Millionen Mark aus der Kasse von Reynolds.

1973, ein Wunder am Strom: Die Wirtschaftsbehörde weist die HEW an, einen Stromtarifvertrag mit einer Laufzeit von 20 Jahren zum Preis von 2 Pfennigen je Kilowattstunde abzuschließen. Die HEW weigern sich mit dem Hinweis, die realen Selbstkosten lägen bei etwa 5 bis 6 Pfennig. Sie fordern und erhalten vom Senat einen einmaligen Kostenausgleich von 83 Millionen Mark.

„Sind Gladiolen wichtiger als Arbeitsplätze?“

Heftige Proteste während der Bauzeit (Umweltschützer und Anwohner) erreichen, daß das Werk erst Ende 1973 mit mehrmonatiger Verzögerung und 215 Auflagen den Betrieb aufnimmt.

Umweltprozesse 1974: 15 Landwirte klagen gegen den Fluor-Ausstoß der Hütte und fordern die vorläufige Stillegung. Am 28. August 1974 stellt das Hamburger Verwaltungsgericht fest: „Die Alu-Hütte arbeitet ohne gültige Betriebserlaubnis!“ (MoPo vom 29.8.74). Das Abendblatt titelt: „Sind 12.000 Gladiolen wichtiger als 1.100 Arbeitsplätze?“. Am 23. Oktober 1974 schreitet das Oberverwaltungsgericht ein. Es kassiert das Urteil der unteren Instanz und gestattet die Wiederaufnahme des Betriebs, fordert allerdings technische Nachbesserungen.

Entsetzen 1975: Reynolds hat die Lust an der Hütte verloren und bietet sie zum Verkauf an. SPD-Fraktionschef Ulrich Hartmann (heute Boß der Gaswerke) entsetzt: „Die Nachricht, Reynolds wolle verkaufen, hat uns alle entsetzt“. Die Lösung nach mehrmonatigem Poker: Die Stadt muß einen Großteil der Anlaufverluste übernehmen. Das Walzwerk bleibt zu Dumping-Bedingungen im Besitz von Reynolds (Gewinne fallen immer in der Weiterverarbeitung an).

Ausstiegs-Szenario aus der Alu-Hütte bereits 1988

Reynolds verkauft zudem je ein Drittel der Alu-Hütte an die staatliche VIAG-Tochter VAW und den österreichischen Staatsbetrieb Austria Metall. Die Hütte heißt seither „Hamburger Aluminiumwerke“ (HAW).

Neue Aufregung 1983: Die HEW forderen angesichts der Energiepreisentwicklung Nachverhandlungen mit den HAW. Die pochen auf den 20-Jahres-Vertrag. Anfang 1983 gibt es schließlich eine minimale Aufstockung von 2 auf 2,8 Pfg/kWh. Mitte der 80er Jahre startet der Betriebsrat der HAW eine Kampagne „Gesundheit im Betrieb“. Ausgangspunkt sind die in Teilbereichen kaum erträglichen Arbeitsbedingungen und die hohen Krankenstände sowie der hohe Anteil an Frührentnern, insbesondere türkischer Kollegen, die ihren Lebensabend in Krankheit oft in Anatolien verbringen. Gegen heftige Widerstände der Konzernleitung werden einige Verbesserungen erreicht.

Heftige Aufregung 1988: Ein Atom-Ausstiegsgutachten des renommierten Berliner Forschungsinstitutes DIW entwickelt Ausstiegsszenarien, welche die Stillegung der Alu-Hütte im Jahr 1995 zur Voraussetzung machen. Der Senat legt das Gutachten in die Ablage.

Satte Zufriedenheit 1990: Die Umweltbehörde genehmigt den HAW eine Produktionsausweitung um 25 Prozent auf seither 125.000 Tonnen jährlich. Die Umweltbehörde rechtfertigt ihr OK mit dem Hinweis, der Ausstoß von jährlich 500 Tonnen Staub und 50 Tonnen Fluorwasserstoff werde dank verbesserter Reinigungsverfahren kaum steigen. Florian Marten