Sind die angekettet?

■ Bremens „Nachwuchs“ rockte im Modernes – für wenig Geld, viel Publicity und ein stumpensteifes Publikum

Cem Súzer ist der Held des Abends. Unter seiner schwarzen Baseballkappe brüllt er ins Mikro: „Ach übrigens, Leute, die Teile hier an der Bühnenfront sind versichert. Traut euch ran!“ Und endlich, kurz vor Mitternacht, zeigt sich Regung im schwarzen Pulk. Er schiebt sich nach vorne und überwindet den Sicherheitsabstand zur Band. Und beginnt gar sichtbar zu zucken. Jetzt endlich wird es warm hier – Cem heizt hüpfend, springend, turnend aus Leibeskräften die Bude ein.

Dann ist es aber auch schon vorbei. Cem's Band Jam Machine ist die letzte dieses ach so stimmungslosen siebenstündigen Konzertmarathons. Der eigentlich hätte ach so legendär werden sollen und können. Bremens erster Rockförderpreis war ausgerufen worden, und sechs Bremer Nachwuchsbands durften am Sonntag im Modernes auf die Bühne, sich ihn live zu erspielen. Für die meisten von ihnen war das allein schon die zeitlebens größte Chance ihres Musikerdaseins: Riesensaal, super Technik.

Und dann ein derart verhaltenes, sitzendes (!) Publikum. „Sind die angekettet, oder was?“ trotzte Frank von den Pryers. Unter der Bühne, in den backstage-Gemäuern des Modernes, haben sich die Band-Mitglieder während des Konzertes zusammengerottet. Einer versinkt in einem Berg von Instrumentenkoffern, ein Gitarrist will sich (vier Stunden vor dem Auftritt) schon mal warmspielen, die Leute von Dancing in minor reißen die letzten Jokes, ehe sie hochmüssen. Von oben dröhnen die Kollegen. Cem sitzt in der Ecke und malt in aller Ruhe ein Jam Machine neben Burning Spear an die Wand. „Ich muß mir das alles heute anhören. Wir haben ja hier unseren ersten Live-Auftritt.“

Publicity, die war der Haupttrumpf von Ralph Steffens gewesen, als er zusammen mit dem „Bremer“ den heimischen Rocknachwuchs Ende 93 zum Wettbewerb gelockt hatte. Er wollte in Eigenregie an die öffentlichkeit zerren, was bislang in Sachen Rock bloß underdogmäßig gehandelt wurde, „was gut ist und halbwegs eine Zukunft hat“. Ob die jetzt Rock der Sorte Heavy, Funk, Pop, „Dew!“ (Dancing in minor) spielen, war total egal. Hauptsache, die Leute sind unverbraucht und frisch.

Jedoch was heißt hier Nachwuchs! Allesamt so an die dreißig sind die jungen Musiker. Und auch an Bandjahren können manche so einiges vorweisen. Stitch befinden sich zur Zeit auf Deutschlandtournee (!) und zücken ebenso wie Pryers und In Cold Blood gleich die neue CD. Kein Anti-Förderungs-Argument für Steffens. „Ne CD kost' ja gerade 10.000 Mark, die kann ich mal schnell berappen.“ Die Rocker selbst finden: „Solange du kein vernünftiges Geld für deine Auftritte kriegst, bist du Nachwuchsband. Olympioniken lassen sich ja auch reamateurisieren.“

Folgerichtig gab's im Modernes keine Gage – bei 350 zahlenden Gästen! Kostendeckung, kontert Kneipier Steffens. Der Preis des Wettbewerbs dagegen – den kannten die Teilnehmer bis zum Schluß nicht; sie mutmaßten ihn aber in schwindelerregenden Höhen. Musiker sind eben Idealisten. Das Rockförderpreis-Plakat, der Bremer Eye-Catcher der letzten Wochen, trifft da angeblich nur den Nerv: Geld, Ruhm, Sex gebührt halt nur den Großen. Dieses Motto ist aber nun deswegen nicht gleich frauenfeindlich, raunt Gitarrist Oliver.

Tekla und Freundin im Publikum finden, na ja, so was wie Erotik komme da schon ein bißchen rüber von der Bühne. Aber nicht wegen den Typen, sondern wegen des gemeinsamen Musikmachens. Die Typen selbst, die sind so unterschiedlich wie ihr Sound. Da rocken die langhaarigen 70er-Romantiker neben den tätowierten Lederfetischisten neben den Pilzköpfen in Jeans und T-Shirt, zum Teil in einer Band zusammen. Das kann schon daher kommen, daß sich die Gruppen oft „von anderen Bands zusammenklauen“, meint Frank.

Man ist aber solidarisch untereinander und bedenkt die Kollegen alle gleichermaßen mit „echt geil“-Komplimenten. Bloß dem Heiko mit der blauen Schiffermütze (Crash for Excess, Funkmetal, Anm. d. Red.) ist das hier alles sowieso irgendwie zu blöd: „Typische Rock'n'Roller-Ellbogenmache. Wir spielen ja sonst überall, wo's lustig ist, hier sind wir vielleicht falsch.“

Crash for Excess würde halt so gern ins Publikum vordringen, und dann würden die schon aufwachen. So aber – für Reiner (29) „aus 'ner Kleinstadt“ ist die Stimmung im Saal nur symptomatisch für Bremens Rockszene: „Man versucht viel in Bremen, aber es klappt nicht so recht. In anderen Städten ist mehr los.“ Rock-Förderer Ralph Steffens jedenfalls glaubt sich auf dem richtigen Geschäftsweg.

Immerhin: Am Ende gab's für die Sieger satte 1.000 Mark. Und die vierköpfige Jury, neben Steffens der Musiker „Long Pete“, Michael Heise von Radio ffn und Promoterin Manuela Zinn, war sich am Ende einig: Den ersten Platz machten Cem und die Jam Machines, die den eindeutig „professionellsten Auftritt“ geliefert hatten. Und sehr sympathisch waren. Und die Jüngsten. Die Welt ist doch gerecht.

Silvia Plahl