Drogentote immer jünger

■ Unberechenbare Giftmischungen sind häufigste Todesursache

Der schwankende Reinheitsgehalt von Heroin ist verantwortlich für die meisten Drogentoten in Bremen im vergangenen Jahr. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung zur Drogenmortalität in Bremen, die die rechtsmedizinische Abteilung des Hauptgesundheitsamtes (HGA) durchgeführt hat. Danach waren 66 Prozent der 65 Bremer Drogentoten im Jahr 1993 Unglücksfälle, die dadurch zustande kamen, daß die Abhängigen die Wirkung des Rauschgiftes falsch eingeschätzt haben. „Sobald sich der Reinhaltsgehalt auf dem Markt ändert, haben wir die Toten“, erklärte gestern Gerichtsmediziner Dr. Michael Birkholz vor der Landespressekonferenz.

Die Untersuchung ist Teil einer Studie über den Drogentod, die parallel in Bremen, Hamburg und Berlin durchgeführt und vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) in Auftrag gegeben worden ist. Neben der rechtsmedizinischen Abteilung beim HGA haben sich das Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin (BIPS) sowie das Sozialpädagogische Institut in Berlin daran beteiligt.

Besonders unfallgefährdet sind danach Drogenabhängige nach einer Haftentlassung und nach einer Therapie. Von den zwischen dem 1. Juli 1991 und dem 30. Juni 1992 registrierten Drogentoten (80) lag in 14 Fällen die Haftentlassung bis zu zwei Wochen zurück, bei weiteren vier Fällen lag sie bis zu fünf Wochen zurück. 22 Prozent der Drogentoten starben an Krankheiten, bei 11 Prozent war Selbstmord die Todesursache.

Die Studie kann auf „bundesweit einmalige Zahlen“ verweisen, weil nicht nur die sogenannten Polizeitodesfälle registriert, sondern auch Drogentote über die sogenannten Totenscheinkontrolle ermittelt wurden. Von den 65 Drogentoten des Jahres 1993 wurden 48 per gerichtlicher Sektion ermittelt, 17 über den Totenschein. Diese enge Erfassung führte zu teilweise überraschenden Ergebnissen.

Nur auf der Basis der Totenscheinkontrolle konnten die WissenschaftlerInnen beispielsweise ermitteln, daß die Zahl derer, die an Krankheiten sterben, von drei Prozent (1992) auf 22 Prozent am Anteil der Drogentoten in 1993 angestiegen ist. „Wenn wir jemanden haben, der mit 35 Jahren an Lungenentzündung stirbt, dann fragen wir nach und erfahren dann: Der Tote war aidskrank infolge von Drogenkonsum“, erläuterte Gerichtsmediziner Birkholz das Verfahren.

Überraschend stellten die WissenschaftlerInnen auch fest: Die Drogentoten werden immer jünger. Die 18 bis 25jährigen stellten mit 25 Toten mehr als ein Drittel der Drogentoten des Jahres 1993. Im Gegensatz zur offenen Szene, die nach Angaben von Drogenexperten „zu 100 Prozent politoxikoman“ ist, also mehrere Gifte gleichzeitig schluckt oder spritzt, sind 1993 47 Prozent der Drogentoten durch ein einziges Gift gestorben (Monotoxikation).

Deprimierend für die Drogenarbeiter: „Von 79 der Verstorbenen standen nur 42 in den letzten drei Monaten vor ihrem Tod in Verbindung mit dem Hilfesystem.“ Darunter fallen sowohl einmalige Beratungskontakte als auch stationäre Therapie, ärztliche Behandlung und soziale Betreuung. Anton Bartling, Leiter der Drogenberatung in Bremen: „Dieses Ergebnis zeigt uns, daß es eine große Gruppe von Abhängigen gibt, die wir mit unserem System nicht erreichen.“

Bartling kritisierte in diesem Zusammenhang die Verschreibungspraxis vieler Ärzte, die „wie freischaffende Künstler“ mit der Verschreibung von Medikamenten umgehen würden. „Wir haben Abhängige, die ganze Klinikpackungen verschrieben bekommen.“ Die Kritik korreliert mit dem Bericht des HGA. Darin hießt es: „Oftmals war (den ÄrztInnen, d. Red.) ... das Vorhandensein einer Drogensucht ihrer Patienten nicht bekannt, was teilweise unverständliche Verschreibungen zur Folge hatte.“

Neben den Todesursachen wurden auch die Drogennotfälle untersucht. Vom 1.7.1991 bis zum 30.6.1992 registrierten die Bremer Krankenhäuser 945 Drogennotfälle bei einer Szene, die gestern mit 2.000 bis 4.000 Abhängigen angegeben wurde. Ergebnis: Zwischen 15 und 20 Prozent der Drogentoten sind vor ihrem Tod als Notfall bereits regisitriert worden. „Das gehört zu unseren Präventionsforderungen, daß die Abhängigen im Krankenhaus eine separate Versorgung in Spezialeinheiten bekommen, wo sie intensiv, ambulant, sozialpädagogisch und sozialpsychologisch betreut werden können“, erläuterte Christel Zenker vom BIPS.Wesentlich häufiger werden die Drogentoten bei der Polizei auffällig.

Mögliche Hilfe böte ein „Therapie-Sofortmodell“: Therapie ohne Wartezeiten für aussteigewillige Abhängige. Heinz-Jochen Zenker, Leiter des HGA: „Außerdem ist die Vermittlung von Wohnraum und die Analyse psychischer Grundstörungen bei Abhängigen unbedingt notwendig, um Krisenfälle zu vermeiden, die zum Drogentod führen.“

Für gefährdete Abhängige sollte es daher einen sog. „Case-Manager“ geben, einen fallführenden Drogenhelfer, der sich aller Probleme eines Abhängigen annimmt und Lösungen auf verschiedenen Ebenen koordiniert. mad