■ Gegen eine Verfassungsrichterwahl nach Volksparteienart
: The American way

Es gibt Entscheidungen, die verbreiten Erleichterung allein schon deshalb, weil sie gefallen sind. Die Nominierung der Berliner Justizsenatorin Jutta Limbach zur Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts gehört zweifelsohne zu dieser Kategorie. Aufatmen auf allen Seiten – endlich ist ein Thema vom Tisch, von dem keiner mehr hören mochte, das unter dem Rubrum „Unfähigkeit der Politik“ seit Monaten die Kommentarspalten füllte.

Mit seiner gestrigen Entscheidung hat das SPD- Präsidium diesem Procedere, so scheint's, ein Ende gesetzt. Ein gutes zudem, denn die Berliner Justizsenatorin ist alles andere als eine Ersatzkandidatin für Herta Däubler-Gmelin, die ob der Querelen um ihre Person entnervt aufgegeben hatte. Daß die SPD mit Limbach eine erste Wahl getroffen hat, täuscht jedoch nicht darüber hinweg, daß der Nominierung ein struktureller Mangel anhaftet, dessen Neuauflage demnächst zu beobachten sein wird – nur mit umgekehrten Vorzeichen.

Wenn Roman Herzog zum Bundespräsidenten gewählt werden sollte, wird der Posten des Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts frei. Nach den ungeschriebenen Gesetzen der Bonner Parteiendemokratie wird die CDU dieses Amt wiederum für einen ihrer Favoriten reklamieren. Sie wird, so ist zu befürchten, den Ex-Verteidigungsminister Rupert Scholz nominieren. Daß der Rechtsausleger der CDU für die SPD nicht hinnehmbar ist, hat deren Führung bereits deutlich gemacht. Statt dessen soll Limbach – Ausdruck eines wieder wachsenden sozialdemokratischen Selbstbewußtseins – an die Spitze des Bundesverfassungsgerichts aufrücken. Die Frondeure besetzen bereits die Gräben, die nächste Blockade im Karlsruher Personenschacher ist abzusehen.

Man muß nicht den abgegriffenen Slogan der Politikverdrossenheit bemühen, um ein Ende dieses Wechselspiels zu fordern. Sein Mangel ist sozusagen systemimmanent. CDU und SPD wollen die Besetzung der Posten unter sich auskungeln, lassen es aber an dem für solche Kungeleien parteienüblichen Maß des Gebens und Nehmens fehlen. Erst dadurch wurde, und das ist, wenn man so will, das Gute an dem Streit um die Mahrenholz-Nachfolge, das Anachronistische des Verfahrens evident.

Das Bundesverfassungsgericht greift, siehe die Entscheidung zum Paragraph 218, siehe die Voten zu Einsätzen der Bundeswehr, immer unmittelbarer in politische Prozesse ein, entzieht sich jedoch selbst der politischen Beurteilung. Um diesen Mißstand zu beenden, sollte die Besetzung der Richterposten endlich zur öffentlichen Angelegenheit werden. Die Arkanpolitik des Richterwahlausschusses sollte einer öffentlichen Anhörung der Kandidaten weichen, wie sie bereits in den USA praktiziert wird. Die Qualität des amerikanischen Verfahrens offenbart sich vordergründig in der peniblen Durchleuchtung der Kandidaten, in der diese sich, wie geschehen, auch dem Vorwurf der sexuellen Belästigung Untergebener stellen müssen.

Wesentlicher ist die mit der öffentlichen Positionierung der Kandidaten einhergehende Profanisierung des Amtes. Die Auswahlkriterien für die Kandidaten werden nachvollziehbarer, dem Spruch der Verfassungsrichter wird die Aura des Gottesurteils genommen, ihr Standort in der Gesellschaft deutlicher markiert. Sollte die von Limbach noch in ihrer Eigenschaft als Berliner Justizsenatorin initiierte Geschlechter-Quotierung des Bundesverfassungsgerichts Wirklichkeit werden, könnte man demnächst auch beim höchsten deutschen Gericht von einer zeitgemäßen Personalpolitik sprechen. Dieter Rulff