■ Interview über Israel nach dem Massaker von Hebron
: „Vielleicht ist es schon zu spät“

Matti Peled ist eine in Israel sehr bekannte Persönlichkeit. Zuerst in führender militärischer Funktion bei der Eroberung des Golan dabei, war er einer der ersten, die für dessen Rückgabe plädierten. Der jetzt emeritierte Professor für moderne arabische Literatur saß in den siebziger Jahren zusammen mit Uri Avneri als Abgeordneter der „Progressiven Liste“ in der Knesset – eine Partei, die aus Palästinensern und Israelis bestand. Schon damals plädierte er als einer der ersten für einen palästinensischen Staat.

taz: Was bedeutet das Massaker in Hebron für den Friedensprozeß?

Matti Peled: Es könnte das Ende des Friedensprozesses bedeuten. Die Sondersitzung der Regierung am Sonntag hat keinerlei Ergebnisse gebracht. Sie wollten fünf Leute in Kiriat Arba festnehmen und einige wenige Siedler entwaffnen, das ist lächerlich! Ist das 6.000 Einwohner zählende Kiriat Arba etwa ein Dschungel? Ich hatte gedacht, die Regierung würde die Tat ernster nehmen, sie würde spüren, was dies bedeutet. Aber vielleicht ist man wirklich nicht an Frieden interessiert.

Was könnte und sollte die Regierung Ihrer Meinung nach tun?

Sie müssen alle Siedler entwaffnen. Sie müssen die Siedler aus Hebron zurückziehen. Und sie müssen die Gefangenen freilassen. Man könnte jetzt die ganze Strategie der Verhandlungen ändern. Statt immer nur über Details zu reden und damit das Osloer Abkommen ins unendliche zu vertagen, hätte man jetzt zur Sache kommen müssen. Ich verstehe auch nicht, weshalb die Regierung sich gegen die Bitte der Palästinenser stemmt, Friedenstruppen der UNO zum Schutz der Palästinenser in die besetzten Gebiete zu holen.

Was halten Sie von Clintons Vorschlag, die Delegationen nach Washington zu holen, bis sie zu Ende verhandelt haben?

Clinton will die Sache jetzt vorwärtstreiben, aber vielleicht ist es dafür schon zu spät. Ich bin mir nicht sicher, ob Arafat die Rückendeckung seiner Leute bekommen wird. Selbst aus seiner eigenen Partei, der Fatah, hört man, daß er sich vom Verhandlungstisch zurückziehen soll.

Rabin sagt, er unterschreibe lieber Mitte Mai ein wirklich fertiges Abkommen als jetzt ein halbfertiges.

Ja, er hat sich auf die Taktik festgelegt, jedes Komma, jeden Punkt zehnmal hin- und herzuwenden, anstatt die grundsätzlichen Fragen schnell über die Bühne zu bringen und mit der Inkraftsetzung des Gaza-Jericho-Abkommens zu beginnen. Sie dürfen nicht vergessen, geplant war, daß am 13. April der Abzug des israelischen Militärs hätte abgeschlossen sein sollen. Gleichzeitig setzt er die Palästinenser jetzt nach dem Massaker unter Ausgangssperre, während sich die Siedler Kiriat Arbas nach wie vor frei bewegen dürfen. Die Siedler sehen das alles als Bestätigung ihrer Politik. Ich halte die Regierung direkt verantwortlich für das Massaker.

Madrid, Oslo, Davos, Kairo – Stationen im Friedensprozeß zwischen den Israelis und den Palästinensern. Die Stimmung in den besetzten Gebieten ist auch schon vor dem Massaker immer schlechter geworden, und auch die Kritik auf israelischer Seite nahm zu. Was ist das Problem der Friedensverhandlungen? Warum hat man seit Wochen den Eindruck, die ganze Geschichte bewegt sich rückwärts statt vorwärts?

Rabin hat von Anfang an sehr systematisch das Osloer Abkommen all seiner Inhalte beraubt. Bei jedem Punkt findet er einen Weg, das zu negieren, worüber man sich gerade geeinigt hat. Rabin manövriert anstatt zu verhandeln.

Können Sie das bitte präzisieren?

In Oslo hatte man sich darüber geeinigt, daß Israel das Militär aus dem Gaza-Streifen abzieht. An einer anderen Stelle heißt es, daß die Sicherheit der Siedler Israel obliegt. Was macht Rabin? Er sagt: Weil wir für die Siedler verantwortlich sind, können wir das Militär nicht evakuieren. Tatsächlich gäbe es andere Lösungen. Man könnte Zäune um die Siedlungen bauen. Man könnte auch Militär auf dem Gelände der Siedlungen stationieren. Aber das will Rabin nicht. Statt dessen beläßt er das Militär im Gaza-Streifen.

Ein anderes Beispiel: Es wurde vereinbart, daß Israel für die äußere Sicherheit verantwortlich ist und die innere Sicherheit den Palästinensern obliegt. Was sagt Rabin? Wenn wir für die äußere Sicherheit verantwortlich sind, dann müssen wir uns um die Paßkontrolle kümmern. Aber überall in der Welt gehört die Paßkontrolle zur inneren Sicherheit.

Die Frage ist doch, ob diese Art der Verhandlungsführung den Friedensprozeß im Grunde gefährdet. Oder ob nicht die Vorteile, die Rabin für Israel herausverhandelt, später seinen Ruhm als starken Verhandlungsführer fördern, Arafat aber nicht weiter geschwächt wird.

Wenn die Dinge sich weiterentwickeln wie derzeit, befürchte ich einen Kollaps der ganzen Friedensverhandlungen. Schon jetzt wird Arafat in den eigenen Reihen angegriffen, er würde das Land der Palästinenser verkaufen. Verstärkt sich die Kritik weiterhin, wird Arafat alles tun, um keine Wahlen abhalten zu müssen. Dann wiederum wird die Kritik auf palästinensischer Seite lauten, Arafat sei Teil der israelischen Regierung.

Wie stark ist eine Stimme wie die Ihre hier in Israel?

Ich habe den Eindruck, daß es viele Menschen gibt, die wirklich über die jetzige Entwicklung besorgt sind. Auch in der Arbeiterpartei nimmt die Kritik zu. Doch viele wollen nicht zu hart kritisieren, um nicht den Friedensprozeß zu gefährden.

Arafat hört aus seinen eigenen Reihen fast ausschließlich Kritik an seinen Verhandlungsergebnissen. Wieso folgt er diesen Stimmen nicht?

Er steht unter großem Druck von Mubarak, von König Hussein, von anderen arabischen Führern. Die wollen nicht, daß die Palästinenser zu viel Macht erhalten, wollen nicht, daß die Palästinenser die Grenzen kontrollieren.

Was geschähe, wenn der Friedensprozeß tatsächlich endgültig scheitern sollte?

Ich sah kürzlich ein Interview mit Laila Shahid, der PLO-Vertreterin in Paris. Sollten die Palästinenser wieder einmal betrogen werden, sagte sie, seien die Ergebnisse diesmal katastrophal. Und tatsächlich, wir sehen die Resultate doch bereits. Niemals war der Widerstand gegen die israelische Besatzung so groß wie im Moment, und es ist wahrscheinlich, daß er nach diesem Massaker erneut wachsen wird. In 25 Jahren Besatzung haben wir nicht das gesehen, was wir im Moment erleben: den Gebrauch von Waffen ohne irgendwelche Einschränkungen, den Tod so vieler Menschen.

Die Israelis sagen, daß sie Angst haben, den Palästinensern zu viele Kompetenzen zu übertragen, Angst haben vor einem palästinensischen Staat.

Angst ist ein Scheinargument. Es geht einzig darum, die besetzten Gebiete nicht zurückgeben zu müssen. Das ist alles. Sie sollen unter unserer Kontrolle bleiben, wie auch immer. Die Anzahl der Waffen, die Kompetenzen an den Grenzen, die Anzahl der Polizisten, die Größe Jerichos – es geht immer nur darum, daß wir die vollkommene Kontrolle behalten. Das ist nicht der Weg, um die Staatsgewalt tatsächlich zu übergeben, sondern um am Ende eine palästinensische Verwaltung unter der Oberkontrolle Israels zu erreichen. Die Palästinenser sagen sehr deutlich, daß sie einen Staat wollen – doch so werden sie ihn nicht bekommen. Interview: Julia Albrecht