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Mindestens 75.000 tote Vögel angeschwemmt

■ Ursache für das größte Vogelsterben der britischen Geschichte bisher unbekannt

Dublin (taz) – Großbritannien erlebt zur Zeit das größte Vogelsterben seiner Geschichte. In den vergangenen zwei Wochen sind 75.000 Tiere an den Stränden der Ostküste von Yorkshire bis hoch nach Shetland angespült worden. Besonders betroffen sind Lummen, von denen es etwa zwei Millionen an der Nordsee gibt. Aber auch Tausende von Krähenscharben, Tordalken, Dreizehenmöwen, Kormoranen und Papageientauchern sind eingegangen.

Niemand weiß, wodurch die Katastrophe ausgelöst worden ist. Barbara Young vom Vogelschutzbund sagte: „Es ist schlimmer als alles, was wir bisher erlebt haben, und wir müssen herausfinden, was da eigentlich passiert. Viele Vögel sind an ungewöhnlichen Orten gesichtet worden, wo sie wohl Nahrung gesucht haben.“ Ihr Kollege David Mitchell fügte hinzu: „Vor allem sind die erwachsenen Vögel gefährdet, die zu Beginn der Brutzeit normalerweise Fettpolster anlegen. Sie werden bis auf die Knochen abgemagert angespült.“

Verschiedene Tierschützer glauben, daß die Tiere verhungert sind, weil sie wegen der andauernden starken Ostwinde nicht nach Nahrung tauchen können. Andere machen das Überfischen der Nordsee verantwortlich. So holen besonders Dänemark und Norwegen bis zu einer Million Tonnen Sandaale jedes Jahr aus der Nordsee. Der bleistiftgroße Fisch ist das Hauptnahrungsmittel der Vögel, für Menschen ist er jedoch ungenießbar. Er wird zu Fischmehl und Tran verarbeitet. In Dänemark sind zeitweise Kraftwerke mit dem Tran betrieben worden. Schon 1983 sind in Shetland innerhalb von fünf Wochen 30.000 Vögel eingegangen. Auch damals gaben Tierschützer den Sandaal-Fischern die Schuld. Da die Bestände an Heringen, Kabeljau und Schellfisch – sie ernähren sich ebenfalls hauptsächlich von Sandaalen – stark zurückgingen, schränkten die Fischer den Fang von Sandaalen ein. Danach erholten sich die Vogelbestände etwas.

Diesmal sind alleine in Shetland bereits 50.000 tote Vögel gezählt worden – mehr als 20mal soviel, wie bei dem „Braer“-Tankerunglück vor einem Jahr. Das Londoner Schottland-Ministerium bestreitet jedoch, daß ein Überfischen die Ursache ist. Tatsächlich hat sich die Zahl der Lummen in der Nordsee zwischen 1970 und 1987 verdoppelt. Das lag daran, so vermuten Experten, daß zu viele Heringe, Kabeljaus und Schellfische gefangen wurden. Dadurch waren die Sandaale eines Teils ihrer natürlichen Feinde entledigt und konnten sich vermehren – und als Nahrung für mehr Vögel dienen. Der britische Fischereiverband folgt dagegen der umgekehrten Theorie: Die hohen dänischen und norwegischen Sandaalfangquoten hätten den Bestand an Heringen, Kabeljau und Schellfisch dezimiert. Deshalb soll die Regierung die Sandaale vor dänischen und norwegischen Fischern schützen. Ralf Sotscheck

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