Sarajevo findet anderswo statt

■ Möglicher Anlaß für den Abschuß waren für Nato-Planer und US-Militärs nach dem serbischen Rückzug aus Sarajevo auch die fortgesetzten Angriffe an andren Fronten

Momćilo Krajišnik, der Sprecher des bosnisch-serbischen Parlaments, gab sich letzte Woche betont unschuldig: Die von der Nato angedrohten Luftangriffe würden von der serbischen Seite nicht als Ultimatum angesehen. Schließlich wolle die serbische Seite nichts lieber als die schnelle Beendigung des Krieges.

Doch kaum waren die schweren Waffen der serbisch-bosnischen Truppen aus dem Umkreis von Sarajevo abgezogen, intensivierten sich die Kämpfe in anderen Regionen. Seit Wochen schon greifen die serbischen Truppen vehement die bosnische Enklave Bihać im Norden des Landes an. Verstärkt werden die Serben dabei durch die Söldner des dubiosen muslimischen Geschäftsmannes Fikret Abdić, der sich nicht scheute, von der Hauptstadt seines kleinen Reiches (der autonomen Region Westbosnien) im Nordteil der Enklave, Velika Kladuša, Söldner zur Verstärkung der serbischen Truppen in die südliche Umgebung Bihaćs zu schicken.

Doch selbst diesen vereinten Truppen ist es trotz der ständigen Artillerieangriffe und trotz der wiederholten Bombardements aus der Luft nicht gelungen, den Verteidigungsring des 5. Bosnischen Armeekorps zu sprengen. Die Verteidiger wissen, daß es jetzt ums Ganze geht. Würden die serbischen Truppen hier durchbrechen, würde die Bevölkerung wohl vertrieben; die Option eines geeinten Bosnien wäre damit für immer verspielt. Es ist allerdings bezeichnend für die Informationspolitik der UNO, daß über diese Angriffe bislang kaum berichtet worden ist. Dabei wissen die UNO-Offiziellen nur zu genau, wie dramatisch die Situation für die Menschen in Bihać geworden ist.

Für die Nato-Planer und die US-Militärs waren die fortwährenden Angriffe in Bihać wohl mit ausschlaggebend für den Einsatzbefehl, endlich das schon über 16 Monate geltende Flugverbot über Bosnien-Herzegowina auch durchzusetzen. Mit dem Abschuß der vier Galeb-Flugzeuge, 88 Kilometer westlich von Banja Luka – dies entspricht ja ziemlich genau der Entfernung nach Bihać – scheint die Nato nach dem Ultimatum von Sarajevo nun auch mit der Befriedung der anderen Brennpunkte des Krieges in Bosnien-Herzegowina Ernst zu machen. Geschähe dies, wäre jedoch ein weites Feld zu beackern. Denn serbische Truppen greifen seit ihrem Rückzug aus dem Umkreis von Sarajevo am vorletzten Wochenende nun verstärkt die Enklave Maglaj in Zentralbosnien, die Umgebung der Nachbarstadt Doboj sowie die Stadt Olovo und die Region um Tuzla an. Und am Montag morgen wurden nach Berichten des US- amerikanischen Nachrichtensenders CNN offenbar auch die in bosnischer Hand befindliche Munitionsfabrik in Novi Travnik sowie die zentralbosnische Stadt Bugojno bombardiert.

Ebenfalls dramatisch hatte sich schon in den letzten Wochen die Lage in Maglaj entwickelt. Seit es der serbischen Seite im Herbst gelungen war, zusammen mit den kroatischen Truppen der HVO in Zepče, einem kroatisch dominierten Nachbarort Maglajs, die Verbindungslinien der Stadt nach Zenica zu unterbrechen, ist die Lage der in dieser Enklave eingeschlossenen über 100.000 Menschen verzweifelt. Schon Anfang Januar berichteten Hilfsorganisationen, daß aufgrund der Hungerblockade durch Serben und Kroaten „die Kinder in Maglaj nur noch aus Haut und Knochen bestehen“.

Dennoch ist es den Verteidigern bis jetzt gelungen, die Fronten zu halten. Mit den verstärkten Infanterieangriffen der Serben seit gestern morgen jedoch könnte sich dieses Bild bald verändern. Denn in der Enklave sind nicht nur Lebensmittel, sondern auch Waffen und Munition knapp bemessen. In der an der Verbindungsstraße Zenica–Tuzla gelegenen Stadt Olovo hingegen ist es bisher relativ ruhig geblieben. Zwar ist die Stadt ein wichtiger strategischer Punkt, weil mit ihrer Einnahme das restbosnische Gebiet geteilt und Tuzla und Zenica zu kleineren Enklaven gemacht werden könnten. Doch steckt den serbischen Truppen hier noch die Niederlage vom Beginn dieses Jahres in den Knochen. Nach einem mit Panzern, Artillerie und Infanterie vorgetragenen Angriff mußten sie sich mit herben Verlusten wieder zurückziehen – einige hundert serbische Soldaten sollen dabei gefallen sein. Die bosnische Armee hatte den Angriff schon erwartet und den Aggressoren eine Falle gestellt.

Auch die Region Tuzla wurde in den letzten Monaten mehrmals angegriffen. Besonders bedeutsam war im November der Abschuß von Luna-Raketen auf das Kraftwerk der Stadt, das damals schwer beschädigt wurde. Mitarbeiter von Hilfsorganisationen berichteten auch von Angriffen durch Flugzeuge. Umgebaute, sonst für die Landwirtschaft genutzte Propellermaschinen, die, da sie sehr tief fliegen, den Radarschirmen entwischen könnten, hätten mehrmals die Region bombardiert; die UNO hat diese Berichte allerdings nicht bestätigt. Dies gilt jedoch für die sporadischen Artillerieangriffe auf die Stadt und den Flughafen, der ja, wie viele Hilfsorganisationen es seit langem fordern, für Transportmaschinen geöffnet werden soll. Auch die Nato und zunehmend die UNO-Offiziellen in Bosnien-Herzegowina haben inzwischen die Öffnung des Flughafens zu einer zentralen Forderung gemacht. Die serbischen Artilleriestellungen hätten sich damit wie in Sarajevo um mindestens 20 Kilometer zurückzuziehen. Erich Rathfelder, Split