"Lawine wird Kittelmann überrollen"

■ Mit einem Parteiausschlußverfahren versucht CDU-Strippenzieher Peter Kittelmann Enthüllungen zum Thema "schwarze Kasse" zu stoppen / Vorwürfe aus Zeiten des Antes-Skandals werden nun bestätigt

Auch wenn er morgen möglicherweise vom Kreisparteigericht aus der CDU ausgeschlossen wird, so fühlt sich der ehemalige Abgeordnete Peter Vetter doch bereits jetzt als Gewinner. Verlierer sei schon jetzt der Tiergartener Kreisvorsitzende und Bundestagsabgeordnete Peter Kittelmann. „Ich habe den Stein losgetreten“, sagt Peter Vetter voller Überzeugung, „nun läuft die Lawine, die Kittelmann überrollen wird.“

Der unerbittliche Streit in der CDU Tiergarten, der unversehens in sorgsam gemiedene Skandal- Zonen der Christdemokraten führt und auch ein Zeichen für die beginnende Erosion der Diepgen- Herrschaft ist, begann auf dem CDU-Landesparteitag im November 1993.

Peter Vetter attackierte damals in einem Akt der Majestätsbeleidigung Peter Kittelmann, der seit vielen Jahren als parteiinterner Strippenzieher und Mehrheitsbeschaffer gilt. Gemeinsam mit seinen Mitkämpfern Eberhard Diepgen und Rüdiger Landowsky erkämpfte Kittelmann seit Mitte der sechziger Jahre einflußreiche Posten innerhalb der Berliner CDU. Insbesondere in der CDU Tiergarten besaß Kittelmann lange Jahre eine nahezu allmächtige Position. Der Bundestagsabgeordnete Kittelmann sorgte auch dafür, daß Peter Vetter 1990 nach 15jähriger Mitgliedschaft nicht mehr für das Abgeordnetenhaus aufgestellt wurde. Statt dessen wurde Kittelmanns Ehefrau nominiert.

Kittelmann, so der Vorwurf auf dem Landesparteiag, habe jahrelang „schwarze Kassen“ geführt, bei denen weder klar war, wer einzahlte, noch, wer aus ihr Geld erhielt. Außerdem, so erzählte Vetter den Parteitagsdelegierten, habe Kittelmann einen Tiergartener Bezirksverordneten mit 10.000 Mark zum Amtsverzicht bewegt.

Von einem Unternehmer habe sich Kittelmann außerdem im August 1986 seine Geburtstagsfeier bezahlen lassen. Besondere Brisanz erhält Vetters Plädoyer für eine saubere Zukunft der christdemokratischen Partei durch die unaufgearbeitete Historie der CDU. Zehn Jahre nach dem Antes-Skandal holt der Bau-Sumpf die Christdemokraten wieder ein. Zwar ist Vetter inzwischen per einstweiliger Verfügung untersagt, weiter zu behaupten, Kittelmann habe ihn zum Mandatsverzicht bewegt oder sich von einem Bauunternehmer aushalten lassen. Unwidersprochen aber blieb Vetters Behauptung, Kittelmann habe eine „schwarze Kasse“ geführt.

Als im Januar 1986 der Bauunternehmer Kurt Franke wegen Bestechung verhaftet wurde, fanden die Kripobeamten einen Taschenkalender. Inhalt: eine Liste der Zuwendungen an Politiker. „12/82 25 Diep“ war dort beispielsweise zu lesen. Im Klartext: 25.000 Mark an den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen. Insgesamt erhielt das Tiergartener CDU- Mitglied Diepgen 75.000 Mark. Auch Kittelmann, in dessen Heimatbezirk Tiergarten Franke so lukrative Geschäfte machte, daß der Bezirk in der Baubranche nur „Frankegarten“ hieß, fand sich mit 145.000 Mark auf der Liste wieder. Verzeichnet war auch der damalige Tiergartener Bezirksbürgermeister Hans-Martin Quell (CDU) mit 60.000 Mark. Insgesamt hatte – der inzwischen verstorbene – Franke die CDU mit rund 500.000 gesponsert.

Wie das Geld verwendet wurde, ist bis heute nicht geklärt. Geklärt werden konnte von der Kripo lediglich der Verbleib von weniger als der Hälfte der großzügigen Spenden. Zunächst dauerte es geraume Zeit, bis sich die CDU-Prominenz unter dem Druck der Beweise doch noch an die dicken Kuverts von Unternehmer Franke erinnern konnte. Diepgen erklärte dann, er habe einen Teil der Summe an den „Förderkreis junge Politik“ weitergereicht – dessen Vorsitzender damals Peter Kittelmann hieß. Einen weiteren Teil des Geldes wollte der Regierende Bürgermeister dem „Sonderfonds der Abgeordnetenfraktion für soziale Zwecke“ gespendet haben. Merkwürdig nur, daß selbst langjährige Mitglieder des Fraktionsvorstands von der Existenz einer solchen Kasse nie etwas gehört hatten. Viel Geld landete auch in einer simplen Stahlkassette, gestand der ehemalige Tiergartener Finanzstadtrat und CDU-Kreisschatzmeister Michael Urban der Kripo.

Zwar verlor der Tiergartener Bürgermeister Quell sein Amt und wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, doch gegen Kittelmann und Diepgen wurde nicht einmal ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dabei sei Quell, so behauptet Peter Vetter heute, lediglich von Kittelmann angestiftet worden, sich das Geld von Franke zu holen. „Kittelmann ist immer mit reiner Weste herausgekommen, dabei war er immer der Brandstifter“, zürnt Vetter über den Parteifreund. Von der „schwarzen Kasse“ hätten selbst im Kreisvorstand nur zwei oder drei Leute gewußt, sagt Vetter, der damals selbst dem Vorstand angehörte. Unter Kittelmanns Führung habe dennoch der Tiergartener Kreisvorstand einen Beschluß gefaßt, das gesamte Geld von Franke sei für den Wahlkampf ausgegeben worden. Abrechnungen habe es aber nie gegeben.

Daß Vetters Angriff auf Kittelmann von der Parteibasis durchaus mit Wohlwollen betrachtet wird, hängt damit zusammen, daß Kittelmanns Stern sinkt. Erstmals spürt der ausgebuffte Zampano hinter den Parteikulissen Gegenwind. Empört hat die Basis, daß Kittelmann und Diepgen im November letzten Jahres der Partei den blassen Dieter Ernst als Generalsekretär aufgezwungen haben. Ausgerechnet in Tiergarten ließen die CDU-Mitglieder kürzlich die Ambitionen von Ernst auf ein Bundestagsmandat scheitern. Auch bei der Nominierung seines Kandidaten für den Kreisvorstand fing sich Kittelmann kürzlich eine Niederlage ein – früher undenkbar.

Kittelmann hat auf die veränderte Situation bereits reagiert: Er hat auf eine erneute Kandidatur für den Bundestag verzichtet und begnügt sich mit dem Ticket fürs EG-Parlament. Gerd Nowakowski