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Verwackelt

■ Fünfteilige Doku "Medien in der DDR", 21.45, ORB

„Ich fühle mich kuhwohl, dank der FDJ-Brigaden“, beteuert ein sanft blickendes Schlachtvieh. Während seine braunglänzenden Augen den Flirt mit der Kamera vertiefen, überschlägt sich seine schneidige Synchronstimme bei den Top ten planwirtschaftlicher Rekorde. Berichte von Geniestreichen bei Silobau und Futtererzeugung, von spurenden Tanzmariechen und von Blechbläsern, denen auch beim Wettrumpfbeugen die Puste nicht ausgeht.

Lutz Rentner und Frank-Otto Sperlich haben in ihrer Dokumentation „Zwischen Liebe und Zorn“ (16.3.), dem dritten Teil der fünfteiligen ORB-Reihe „Rückblicke, Einblicke – Medien in der DDR“, Schnipsel aus Jugendsendungen des DDR-Hörfunks und -Fernsehens chronologisch aufgereiht. Von „DT 64“, bei dem die ersten Beat-Töne und dieses, wie Honecker fand, „monotone Yeah, Yeah, Yeah“ über den Äther gingen, über „rund“, das nicht nur die blauhemdige Jugend via Mattscheibe auf die Weltfestspiele 1973 einstimmen, sondern auch Staatschef Honecker endlich ein Fernsehimage als Väterchen Tauwetter verleihen sollte, bis zum Jugendmagazin „Elf 99“, Honnis ultimativ letztem Versuch. „Man ist klüger nach der Sendung, als bevor man sie gesehen hat“, faßt Egon Krenz in „rund“ das Wunschkonzept staatlich dosierter Jugendkultur zusammen. Das kann man von der ORB-Reihe, die in Kooperation mit dem Adolf-Grimme-Institut entstand, nicht für jeden Beitrag behaupten. Atemlos stolpern Rentner und Sperlich mit ihrem Sampler durch die Geschichte der Jugendabteilung in Adlershof und reichen dem Wessi unter den Zuschauern kontextlose Häppchen, die keinesfalls so ambivalent schmecken, wie der Titel verheißt. Kein Blick zurück im Zorn, keine liebevolle Nostalgieschau, sondern unbeholfenes Wühlen im MAZ- Fundus des DDR-Fernsehens.

Eine Stimme verliest aus dem Off SED-Protokolle, nach denen „Gammler“ ins Arbeitslager gehören. Ein ehemaliger Moderator plaudert von den Mühen der Maskenbildner, die verbotenen langen Haare der Musiker am Hinterkopf festzustecken. Wo das Ost-Autorenpaar eigentlich das „Lebensgefühl einer Generation“ buchstabieren möchte, wird es stumm. Ein S/W-Amateurfilm mit irgendwelchen sonnenbebrillten Jugendlichen soll – da authentisch und unzensiert – vergilbte Zeitgeister beschwören. Doch verwackelte Erinnerungen machen noch keinen Eindruck. Als hätten die beiden ehemaligen Regisseure des DDR- Fernsehens nichts mit ihrer Kinderstube zu tun, vermeiden sie eigene Töne und kommentierende Einstellungen. Der Zuschauer bleibt mit seinem Gefühlssalat aus Sentimentalität und Schaudern letztlich allein. Kaum ein Wort über Programmkonzepte, über den Einfluß der Westmedien, keines über die Einschaltquoten bei Hausgemachtem. Immerhin strahlte man bei „Elf 99“ über eine 87prozentige Zustimmung unter befragten Schülern. Mit der im September 1989 erstmals ausgestrahlten Jugendsendung versprach sich die Partei ein Auffangbecken für nach Westen Schauende. Pikantes, aber aus kontrolliertem Anbau. Da durfte Marx im Trailer zwischen Bikinihöschen und Sendungslogo die Zunge zeigen und öffentlich als Pop-Produkt säkularisiert werden. Redakteure berichteten über Demos, diskutierten über Reisefreiheit und moderierten die ersten Streitgespräche zwischen Oppositionellen (Jens Reich, Bärbel Bohley, Stefan Heym) und Regierungsvertretern (Marcus Wolf). So etwas wollten auch die Medienmacher im Westen immer schon mal sehen – 1989 ging Burdas Bambi nach Adlershof. Heute hat Elf 99 einen festen Sendeplatz bei Vox. Doch auch das hat Sperlich und Rentner nicht interessiert. Sperrig auch Mario Manns und Lutz Herdens Chronik der Unterhaltungssendungen im ostdeutschen Fernsehen „Die Revuetreppe“ (9. März). Show-Splitter aus „Da lacht der Bär“, „Mit dem Herzen dabei“ und „Ein Kessel Buntes“ sollen den Werdegang sozialistischen Entertainments vor und nach dem Mauerbau dokumentieren. SED-Direktiven für den guten Ton im Glitzerambiente wollten in den hochfliegenden Beinen der Can-Can-Tänzerinnen den „Weg zur Lösung der Lebensfragen des deutschen Volkes“ erkennen. Und gemäß der Bitterfelder Losung „Greif zum Mikro, Kumpel“ durften schließlich auch Arbeiter ins Scheinwerferlicht des Friedrichstadtpalastes treten. Die unkommentierten Revuefragmente, mit unvermittelten Assoziationen ehemaliger Conférenciers und versteckten Tiefschlägern in den Wortjonglagen der „Mikrophonisten“, deren Ziel nur Eingeweihte kennen, lassen sich im nachhinein nur schwer zu einem analytischen Ganzen zusammensetzen.

Und so bleibt die Lehrstunde in Sachen Ostmedien zumindest für den, der nur kapitalistisch ambitionierten Tand wie „Einer wird gewinnen“ mit fest installierter EWG-Werbung und „Spiel ohne Grenzen“ für ein schlagbaumloses Europa, gewöhnt ist, ein eher fruchtloses Unterfangen. Birgit Glombitza

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