Unter dem Bajonett des Militärs

■ Türkei: Kurdische DEP boykottiert Kommunalwahlen

Istanbul (taz) – Im Vorfeld der landesweiten Kommunalwahlen am 27. März gerät die kurdische „Demokratische Partei“ unter starken Druck der türkischen Regierung. Schon seit geraumer Zeit läuft ein Verbotsantrag gegen die Partei vor dem Verfassungsgericht. Heute wird aller Voraussicht nach das türkische Parlament über die Aufhebung der Immunität von sechs DEP-Abgeordneten abstimmen. Der Staatsanwalt des Staatssicherheitsgerichtes Ankara beschuldigt DEP-Abgeordnete, für die illegale kurdische Guerillaorganisation PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) zu arbeiten. Dabei beruft er sich auf den Straftatbestand der „Zerstörung der verfassungsmäßigen Ordnung“ – darauf steht die Todesstrafe.

Der Kurdistan-Konflikt verschärft sich zusehends. Die Regierung der Ministerpräsidentin Tansu Ciller hat alle Möglichkeiten eines politischen Dialogs über Bord geworfen und strebt – ganz im Sinne des türkischen Generalstabes – die militärische Vernichtung der PKK an. Und dabei geraten auch die politischen Repräsentanten der Kurden, die Abgeordneten der DEP, unter Beschuß. „Wir werden es nicht zulassen, daß die PKK in den Parlamentsreihen sitzt“, drohte Ciller. Den Vorsitzenden der DEP, Hatip Dicle, denunzierte sie als „Vaterlandsverräter“. Ihr Innenminister Nahit Mentese brachte es auf die bündige Formel: „Die DEP ist gleich der PKK.“ Die türkischen Politiker liegen ganz auf der Linie des türkischen Generalstabschefs Dogan Güres, der als erster die DEP-Abgeordneten zur Zielscheibe erklärte: „Man braucht die Räuberbande gar nicht in der Bekaa- Ebene zu suchen. Ein Teil der Räuberbande sitzt im Hohen Parlament.“ Anlaß für die deftigen Worte war eine Stellungnahme des DEP-Vorsitzenden Hatip Dicle nach einem Bombenattentat der PKK auf einen Istanbuler Lokalbahnhof Mitte Februar, bei dem sechs Menschen getötet worden waren. „Ich gratuliere den 300.000 türkischen Jugendlichen, die fahnenflüchtig sind“, hatte Dicle unter anderem gesagt.

Vergangenen Freitag beschloß die Parteizentrale der DEP, nicht an den Kommunalwahlen teilzunehmen. Die Partei sehe keine Chance, daß in den kurdischen Regionen freie Wahlen abgehalten werden können. Zuvor war die Forderung der DEP, daß unabhängige ausländische Wahlbeobachter bei den Wahlen in den kurdischen Regionen präsent sein sollten, von der türkischen Regierung abgelehnt worden. Die DEP hat gute Gründe für ihre Befürchtungen. Im Laufe von 45 Tagen wurden sieben Funktionäre der DEP von Todesschwadronen ermordet. Bomben zerstörten sechs Parteibüros. Bei einem Bombenanschlag auf das Hauptquartier der Partei starb ein Parteimitglied, und 17 Mitarbeiter wurden verletzt. Der Generalsekretär der Partei entging nur knapp einem bewaffneten Anschlag. In den kurdischen Regionen war die Situation noch schlimmer. 320 Mitglieder der Partei wurden festgenommen. Das Militär drohte kurdischen Bauern mit der Zerstörung ihrer Dörfer, falls auch nur eine Stimme für die DEP abgegeben würde. „Sie wollen die DEP ersticken“, kommentiert DEP-Vorsitzender Dicle die Ereignisse. — Die Kommunalwahlen in den kurdischen Regionen werden unter dem Bajonett des Militärs stattfinden. Nach dem Boykottbeschluß der DEP sind die Wahlen in den kurdischen Regionen vollends zur Farce geworden. Selbst der türkische Generalstab rechnete in einer internen Studie, die die Zeitung Aydinlik veröffentlichte, mit überwältigenden Wahlerfolgen der DEP, die einem Votum für die PKK gleichkämen.

Auf der anderen Seite sind nach dem Rückzug der DEP die Kandidaten der anderen Parteien einem extremen Sicherheitsrisiko ausgesetzt. Sie könnten leicht Anschlägen der PKK zum Opfer fallen. Ömer Erzeren