: Keine Kohle für die männliche Verhütung
■ Gericht wies Klage zur Finanzierung des Kondoms durch die Krankenkasse ab
Berlin (taz) – Rein rechnerisch ging es um 49,75 Mark, als gestern das Berliner Sozialgericht zusammentrat, tatsächlich aber ging es ums Prinzip: Darf der Staat gesetzlich festlegen, daß Jugendliche unter 20 Jahren einen Anspruch auf kostenfreie Verhütungsmittel haben, dann aber im zweiten Schritt diesen Anspruch ausschließlich auf Kontrazeptiva für Frauen beschränken? Darf er das einzig „männertaugliche“ Verhütungsmittel, das Kondom, von dieser Regelung ausschließen und die Verantwortung für die Verhütung damit wieder nur dem weiblichen Geschlecht zuschieben?
Darf er nicht, meint Renate D., Sozialarbeiterin einer Berliner Familienberatungsstelle und Mutter eines 16jährigen Sohnes. Deshalb forderte sie von der Barmer Ersatzkasse 49,75 DM für die Kondome des Filius ein. Aber die Barmer will nicht zahlen. Also traf man sich gestern vor Gericht wieder zu einem Musterprozeß.
Rechtlicher Hintergrund ist das 1992 verabschiedete Schwangeren- und Familienhilfegesetz, mit dem das Abtreibungsrecht novelliert wurde. Unter den flankierenden familienpolitischen Maßnahmen findet sich im Artikel 2 des Gesetzes auch die Kassenfinanzierung von Verhütungsmitteln für unter 20jährige. Eine kleine Revolution im deutschen Sozialrecht, damit wurde Jugendlichen erstmals das Recht auf kostenlose Verhütung zugestanden. In der Gesetzesbegründung bekamen die Politiker jedoch Angst vor der eigenen Courage. Sie schränkten den Kreis der Verhütungsmittel auf „ärztlich verordnete“ ein und nahmen das Kondom ausdrücklich aus.
„Eine rein geschlechtsspezifische Regelung“, ärgert sich Renate D. und sieht darin einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes. Wenn ihr Sohn pflichtbewußt seinen Part bei der Verhütung spielen will, müßte er in die eigene Tasche greifen. Während der Staat hier den Einsatz von Kondomen bremst, versucht er ihn gerade mit teuren Aids-Aufklärungskampagnen hoffähig zu machen. Weiterer kritischer Punkt des Gesetzes: als „ärztlich verordnete“ Verhütungsmittel definiert es auch für Frauen nur solche, die verschreibungspflichtig sind. Das schränkt den Kreis auf Pille und Spirale ein. Verhütung, so meinen Renate D. und der ihre Klage unterstützende „Arbeitskreis Sexualität“ wird damit – gesetzlich gefördert – nicht nur zur Frauensache, sondern auch zur Sache der pharmazeutischen Industrie. Und das ist rechtens, urteilte gestern das Berliner Sozialgericht unter Vorsitz einer Frau. Kondome seien keine ärztlich zu verordnende Medizin. Außerdem habe der Gesetzgeber die Verantwortung für die Verhütung tatsächlich den Frauen zugeschrieben, die seien schließlich „die Hauptbetroffenen einer ungewollten Schwangerschaft.“ Da hatte die Richterin offenbar das Gesetz nicht gründlich gelesen: denn das legt als eigene Zielsetzung ausdrücklich fest: „Sexualität und Empfängnisverhütung soll – insbesondere bei Männern – auf Verantwortung für partnerschaftliche Sexualität und Empfängnisverhütung beruhen.“ Wie ernst es mit diesem Anspruch steht, will Renate D. jetzt vom Bundesverfassungsgericht klären lassen. Vera Gaserow
Siehe auch Seite 10
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