Bringt verbrauchte Energie zurück

■ Kunst als Wärmespender: „Beuys und die Antike“ (uvam.) im Gerhard-Marcks-Haus

Holla! Nun aber! Vorgestern noch „Marcks und die Antike“, alte und moderne Klassik unter einem Dach; und jetzt dieses: „Beuys und die Antike“, mehr noch: Beuys, griechische Plastik und Marcks in einer Ausstellung vereint, wo sie einander munter die Stichworte zuwerfen. Und das alles in unserem altehrwürdigen Gerhard-Marcks-Haus. Hier wird einmal augenfällig, wie noch die letzte wirkliche Avantgarde unseres Jahrhunderts ihre Kräfte aus der Mythologie schöpfte – ohne dabei einen neuen Klassizismus anzupeilen. Und Beuys eignet sich für eine solche Zusammenschau ja bestens: Noch in seinen flüchtigsten Zeichnungen spiegelt sich das Verlangen, eingebunden zu sein in die großen Erzählungen und Mythen der abendländischen Kultur, sie weiterzugeben – und sie selbst zu bereichern.

Diese glückliche Verbindung wurde vor allem deshalb möglich, weil sich das Marcks-Haus nicht mit einer bloßen Übernahme der Beuys-Schau aus der Münchner Glyptothek bescheiden wollte. Zu den Beuys-Blättern kommen in Bremen Zeichnungen und Gefäße von Marcks, aus seiner Zeit am Bauhaus, und vor allem griechische Weih- und Trinkgefäße aus einer Bremer Privatsammlung. So sind sie nun in direkter Nachbarschaft zu erleben und laden die Betrachter zu allen möglichen Vergleichen ein: die Gefäße aus (vor allem) klassischer Zeit, in ihren zeitlos schönen Proportionen und Dekorationen; die Entwürfe der Moderne, mit ihrem Bemühen um Einfachheit, Funktionalität und klare Gestaltung; schließlich Beuys' zarte Zeichnungen von Nymphen, Faunen, Göttern, deren schlichte Gestalten oft wie direkte Verwandte klassischer, sogar archaischer Vorfahren wirken.

In diesem wunderbaren Neben-, Durch- und Miteinander wird schnell klar, wie unterschiedlich Marcks und Beuys mit der klassischen Modelliermasse umgehen. Marcks spürt in seinen großen Plastiken, zuletzt am gleichen Ort ausgestellt, vor allem dem Pathos der Antike nach; noch in seinen aufs Einfachste reduzierten Entwürfen für Gebrauchskeramik klingt dieses Ringen um die monumentale, großartige Form an. Bei Beuys hingegen strebt eine jede kleine Zeichnung danach, die eigene Biografie mit den kollektiven, überzeitlichen Mythen zu verbinden. Und das Beuys-Dauerthema der „Energie“ durchströmt die ganze Schau.

So erwecken die Naturtöne, in denen Beuys sich viele seiner mythischen Wesen ausgemalt hat, Assoziationen an des Meisters Vorliebe fürs Erdige, fürs Filzige und Fettige. Auch seine komplexesten und scheinbar unzugänglichen Installationen lassen sich ja immer wieder auf ihre Funktion als natürliche Energie- und Wärmespender zurückführen.

Dieses Materialgefühl trifft sich in den Zeichnungen mit Figuren, die gleichfalls dem Natur- bzw. Erdreich zugeordnet sind. Neben den handelsüblichen Heroen und Götterwesen läßt Beuys auch die Tierwelt der mythologischen Sagen- und Wunderwelt auferstehen: Widder, Elche und die unvermeidlichen Hirsche erscheinen auf dem Papier, in flüchtigen Konturen und dünnsten Wasserfarben. Ein fast magischer Bildglaube beseelt diese Bilder; oft scheint es, als ob Beuys sie noch einmal aus der Ewigkeit heraufbeschwören wollte, um sich mit ihnen zu verbünden.

Nun muß man nicht, wie die Münchner Katalogautoren, die alten Künstler-Anekdoten nochmals aufbacken (Beuys' Absturz über der Krim, sein Tataren-Abenteuer, die Verbindung zur skythischen Kultur, etcpp.), um einen Bogen zwischen Gegenwartskunst und Antike hinzukriegen. Mythen, Ideale und Proportionen der Klassik haben die Künstler zu allen Zeiten verarbeitet, und in Beziehung zu ihrer eigenen Biografie gesetzt.

Bei Beuys runden sich diese Kreuz- und Querbeziehungen allerdings auf besonders konsequente Weise zum Bild. Was dabei verlorengeht, ist freilich das nach wie vor aufrührerische Energiepotential des Beuys'schen Lebenswerks. Wo sich alles in harmonischen Kreisen schließt, da gibt es keine Ecken und Kanten mehr.

Thomas Wolff

„Beuys und die Antike“, bis 8. Mai im Gerhard-Marcks-Haus, Am Wall 208.