Hier muß vieles gelernt werden

■ Stephan Märki, der neue Intendant am Hans Otto Theater in Potsdam, buhlt ums Publikum

Intendant des Hans Otto Theaters zu sein ist kein Traumjob. Die Politiker lieben die Bühne nicht, das Publikum bleibt aus, es fehlt an Geld, und das Theaterhaus ist ein Provisorium, genannt „Die Blechbüchse“. Frustriert warf nach zweijähriger Intendanz im Herbst Guido Huonder das Handtuch, und Stephan Märki kam.

Der 38jährige Märki, ein gebürtiger Schweizer, arbeitete in der Werbung, war Autorennfahrer, Schauspieler und leitete zehn Jahre das von ihm gegründete Team-Theater in München. Er verwandelte das Dreispartentheater in zwei GmbHs (Theater und Philharmonie) und rang der Stadt die Zusage für einen Theaterbau in der Schiffbauergasse ab (Fertigstellung im Jahr 2000). Jetzt präsentierte er seinen ersten Spielplan: viel Klassik und Unterhaltung, einige Experimente – eine Schwab-Uraufführung mit Musik der Einstürzenden Neubauten, ein Stück über Hans Otto; dazu etwas Kinder- und Jugentheater... Ein „breites Angebot für breite Bevölkerungsschichten“. Ist alles wieder o.k. am H.O.T.? Die taz sprach mit Stephan Märki.

Sie haben bisher das kleine Team-Theater in München geleitet, waren Herr über zwei Dutzend Angestellte und über 100.000 Mark Subventionen. Nun verfügen Sie über 200 mal 100.000 Mark und tragen Verantwortung für 300 Beschäftigte. Was qualifiziert Sie für die Leitung eines Dreispartentheaters?

Stephan Märki: Das Team-Theater hat sich weniger in den Inhalten als in der Arbeitsweise von den großen Häusern unterschieden. Vor allem: frei von Sachzwängen zu arbeiten! Dieser Grundgedanke der freien Gruppen gehört in die städtischen Theater. Was mich qualifiziert? Ich bin ein Theatermacher, habe Erfahrungen in allen Produktionsbereichen.

Ihr Vorgänger, Guido Huonder, ist hier auch gescheitert, weil er die Potsdamer Verhältnisse nicht richtig eingeschätzt hat, sein Spielplan galt als zu „elitär“, zu sehr nach Berlin ausgerichtet. Sie erklärten, Sie stünden für ein „Theater, das gewollt sei“. Was wollen die Potsdamer für ein Theater?

Ich weiß natürlich nicht, was sie wollen. Die Potsdamer sind abwartend, vorsichtig und haben diese preußische Mentalität. Aber sie sind zu gewinnen. Nicht mit Trallala, aber auch nicht, indem das Theater sich in den Elfenbeinturm zurückzieht. Theater ist ein Produkt, man muß sich nach den Bedürfnissen der Nutzer orientieren. Ob vor oder hinter der Glienicker Brücke, ist im übrigen egal.

Ihr Slogan ist „Bewegt die Sinne“, Ihre Werbung bunt. Wie wollen Sie konkret Leute in Ihr Theater locken?

Ich biete einen Fahrplan an, der überall hinfährt. Die Klassiker „Faust“, „Biberpelz“, „Romeo und Julia“, aber auch „Offene Zweierbeziehung“ sind ein Angebot an breite Bevölkerungsschichten. Jugendliche kommen vielleicht wegen den Einstürzenden Neubauten. Ich will die Unterhaltung im Ernst und den Ernst in der Unterhaltung. Neue Stücke, in dieser Zeit, mit unbekannten Schauspielern, an einem ungeliebten Ort – das spricht das konservative Publikum nicht an.

Als Sie nach einem Konzept gefragt wurden, sagten Sie sehr optimistisch „Stadttheater“ – einen Begriff, mit dem man eher gepflegte Langeweile verbindet. Was heißt er für Sie?

Ein zentraler städtischer Erlebnisraum.

Klingt nach Disneyland. Welche Aufgaben soll Ihr Stadttheater erfüllen, welche Inhalte hat die subventionierte Kunst?

Ein Stadttheater hat die Aufgabe, Bildung zu vermitteln. Dazu bekenne ich mich. Theater soll aber auch ein Event sein, eine Institution wie das Fußballspiel. Und Raum bieten für Ideen, Phantasien, Utopien.

Was für Ideen?

Vor einer formulierten Idee drücke ich mich. Theaterleute reden immer gerne über den Inhalt, aber man sieht es nie auf der Bühne. Meine Inhalte sind die Menschen, die das Theater machen. Piet Drescher, der Goethes „Faust“ inszenieren wird, die Uraufführung von Werner Schwabs „Faust: Mein Brustkorb: Mein Helm“.

Nicht allein der Spielplan war entscheidend für die Potsdamer Theaterkrise. Es geht auch ums Geld, um den Theaterstandort. Sind das Ihre Haupthindernisse?

Natürlich, wir müssen mit dem Etat einer Sparte die Existenz von zweien beweisen. Das Theater ist über die ganze Stadt verteilt, wir müssen mit dem Provisorium „Blechbüchse“ leben. Und: Im künstlerischen Bereich sind 80 Prozent der Stellen unkündbar.

Ihr Vorgänger fühlte sich vor allem von der Politik im Stich gelassen. Genießen Sie volle Rückendeckung?

In Potsdam muß nach der Wende vieles gelernt werden. Vor allem: die Kultur im Umgang miteinander. Was uns, auch mir hier, an Intrigen entgegendrang, das hätte ich nicht für möglich gehalten. Man hat das Gefühl: Erst durften sie vierzig Jahre nichts sagen, und jetzt kann jeder jeden in die Pfanne hauen. So ist der Umgangston in der Politik. Offen hat hier allerdings niemand gegen das Theater Stellung bezogen, aber wir haben viel Gegenwind. Das Problem: Hier muß man immer mit 50 Leuten gleichzeitig reden. Jeder steckt seinen Löffel in die Suppe und rührt und rührt – es braucht einen ungeheuren Energieaufwand, bis etwas herauskommt.

Aber nicht nur von außen, vor Publikum und Politik, müssen Sie sich behaupten, auch intern gibt es natürlich Widerstände.

Hier sind soviel Animositäten im Haus. Oper und Schauspiel, die reden nicht miteinander. Es fängt aber schon an zwischen Maske und Kostüm, Werkstatt und Bühnenarbeitern. Zum Beispiel war die Beleuchtung nicht bereit, hier im Foyer Licht zu machen, weil sie sagten, wir machen Licht auf der Bühne – da standen die Leute hier im Dunkeln. Dann ist die Stasi-Geschichte nicht aufgearbeitet. Es kursieren Gerüchte, daß 40 bis 60 IMs noch im Theater sein sollen. Es ist das reinste Gegeneinander.

Streitereien gehören zum Alltag im Dreispartentheater...

Aber hier ist es besonders schlimm, aus Existenzbedrohung. Die Philharmonie mußte gar keine Leute entlassen, am meisten die Oper, dann das Schauspiel. So haben die Politiker es erreicht, daß die Sparten sich gegenseitig ausgespielt haben. Meine Aufgabe: Dinge zu versachlichen.

Welche Forderungen haben Sie an die Politik: eine Bestandsgarantie?

Der Haushalt ist ja noch nicht mal für dieses Jahr gesichert. Wir kämpfen von Monat zu Monat. Die Politiker müssen ganz einfach begreifen, daß Theater Geld kostet. Und wenn sie nicht genug für drei Sparten haben, dann müssen sie eine schließen. Das ist eine politische Entscheidung. Aber dann müssen sie dazu stehen. Und eins will ich noch sagen: Ich möchte hier etwas aufbauen. Und es ist mir bisher alles gelungen, was ich angepackt habe. Aber in dem Moment, wo ich sehe, daß ich nichts bewegen kann, bin ich wieder weg. Interview: Dirk Nümann

Heute abend findet im Hans Otto Theater, Zimmerstraße 10, die Uraufführung von Oliver Bukowskys „Ob so oder so“ statt.