"Ohne Sicherheit drehe ich durch"

■ Bezirksamt Wilmersdorf verwehrt dem psychisch schwerkranken Jamal N. die Sozialhilfe / Ärzte behandeln den Mann aus Bangladesch derzeit auf eigene Kosten / Der Kranke kann sich nur mit Spenden über ...

Jamal N. ist schwer psychisch krank. Doch eine regelmäßige Therapie, die er dringend benötigt, wird dem Mann aus Bangladesch verwehrt. Statt dessen ist er auf die Hilfe wohlwollender Ärzte angewiesen, die ihn bei Bedarf umsonst behandeln. Grund dieser Misere: Das Bezirksamt Wilmersdorf weigert sich, dem mittellosen Mann Sozialhilfe zu zahlen.

Seit Dezember '92 wird Jamal die Unterstützung mit der Begründung verweigert, er sei nur in die Bundesrepublik eingereist, um finanzielle Hilfe zu erhalten. Damit sei ein Ausschlußtatbestand gegeben und folglich das Bezirksamt nicht verpflichtet, Jamal Sozialhilfe zu gewähren. Eine Argumentation, die der Betroffene nicht verstehen kann: „Ich war mit einer Deutschen verheiratet, und wollte mit meiner Frau hier leben“, begründet er seine Einreise. Seine Ehe scheiterte unter anderem an seiner psychischen Erkrankung.

Wegen dieser Erkrankung erhält er auch bis 1995, auf Empfehlung der Härtefallkommission, eine Aufenthaltsbefugnis. „Die erforderliche ärztliche Behandlung, die im Heimatland nicht möglich ist, stellt ein Abschiebungshindernis dar, das Jamal N. selbst nicht zu vertreten hat“, lautete die Empfehlung an die Ausländerbehörde. Genau diese ärztliche Behandlung verweigert ihm das Bezirksamt.

Um sich über Wasser halten zu können, ist Jamal auf Spenden angewiesen, denn aufgrund seiner psychischen Erkrankung kann er keiner Arbeit nachgehen. „Wir legen alles Geld zusammen, damit wir wenigstens seine Wohnung halten können“, erklärt Ute K. von der Antirassistischen Initiative, die sich um Jamal kümmert. „Doch wenn beim nächsten Gerichtstermin erneut negativ gegen ihn beschieden wird, wissen wir auch nicht mehr weiter.“

Ungewißheit und die Angst, benötigte Medikamente wie Psychopharmaka vielleicht nicht zu bekommen, führten bei Jamal zusätzlich zu einer Herzkrankheit. Trotz der Empfehlung der Härtefallkommisson glaubt das Oberverwaltungsgericht jedoch, „daß dem Antragsteller nunmehr eine Rückkehr in sein Heimatland zugemutet werden könnte“, wie es im Urteil heißt. Doch gibt es in Bangladesch nicht die Behandlungsmöglichkeiten wie in Deutschland. Deshalb wären für Jamal die Konsequenzen einer Rückkehr unabsehbar: „Ich kann mich hier noch unter Kontrolle halten, weil ich weiß, daß Hilfe da ist. Wenn diese Sicherheit nicht wäre, würde ich durchdrehen.“

Doch Krankheitsprognosen sind beim Bezirksamt nicht gefragt, sondern lediglich der momentane Gesundheitszustand. Eine vom Sozialamt beauftragte Untersuchung beim Amtsarzt erfolgte lediglich unter der Fragestellung, ob eine akute Lebensgefahr bestehe oder nicht. Eine Verfahrensweise, die Antonia Schwarz, Stadträtin für Gesundheit in Wilmersdorf, für äußerst problematisch ansieht, „da die Ärzte lediglich einen begrenzten Arbeitsauftrag erhalten“. Ob der Patient einer medizinischen Behandlung bedarf, wurde nicht gefragt.

Kurzfristig aufatmen durfte Jamal im Dezember 1993. Das Verwaltungsgericht verpflichtete per einstweiliger Anordnung das Bezirksamt zu Zahlungen, da es einer näheren Prüfung bedürfe, ob der Ausschlußtatbestand erfüllt sei oder nicht. Doch da das Oberverwaltungsgericht der Beschwerde des Bezirksamtes recht gab, steht Jamal seit Mitte Januar wieder mittellos dar. „In meinem Kopf ist alles blockiert, ich habe Angst vor der Zukunft und weiß nicht, wie es weitergehen soll“, sagt er resigniert. Verständnislos gegenüber der Härte des Sozialamtes zeigt sich auch Jamals Anwalt Andreas Günzler. Es sei nun einmal reine Ermessenssache, ob der Bezirk zahle oder nicht, „ich habe jedoch den Eindruck, das Amt will unbedingt ein Sendungsbewußtsein vermitteln. Für die scheint es wichtig zu entscheiden, daß Jamal N. keine Sozialhilfe bekommt.“

Auch in der nächsten Gerichtsverhandlung will das Bezirksamt bei seiner Argumentation bleiben, „zumal schon mehrfach in dieser Sache für uns entschieden wurde“, ergänzt Monika Thiemen (SPD), Sozialstadträtin in Wilmersdorf. Hella Kloss