Geiselnahme verzögerte Geiselnehmer-Prozeß

■ Prozeß gegen „Russen-Mafia“ neu aufgelegt / Zwei Angeklagte kooperativ

Der Vorsitzende Richter der 22. Strafkammer des Landgerichts, Friedrich-Karl Föhring, ist Kummer gewohnt. Er ist schon fast ein Spezialist für komplizierte Prozesse gegen die sogenannte Russen-Mafia. Aber was gestern passierte, das ging ihm doch über die Hutschnur. Weil in der Untersuchungshaftanstalt eine Geiselnahme geprobt wurde, mußte sein Prozeß, ausgerechnet gegen vermutliche Kidnapper und Erpresser, stundenlang verschoben werden. Und daß das Ganze nur eine Übung war, hatte die Justizverwaltung ihm nicht einmal mitgeteilt.

Was dann verspätet begann, war die Neuauflage eines Prozesses, der vor zwei Wochen schon einmal geplatzt war. Damals führten die sechs Angeklagten, denen die Entführung von vier Landsleuten und eine Lösegelderpressung von zwei Millionen Mark vorgeworfen wird, den Richter mit Märchengeschichten an der Nase herum. Diesmal verhielten sich zwei Angeklagte kooperativer. Sie rückten nicht von ihren früheren Geständnissen ab, sondern bestätigten, daß sie an den Entführungen beteiligt waren. Allerdings sei ihnen erst während der Aktion bewußt geworden, daß die Sache illegal gewesen sei. Sie behaupteten, daß der Vater einer der Entführten, ein reicher Spielbankbesitzer, dem Kopf der Gruppe „sehr viel Geld“ geschuldet habe. Dieser „Kopf“, ein gewisser Novitzki, entwischte bei einem Ortstermin der Berliner Polizei und wurde Ende 1993, vermutlich bei einem Ausbruchsversuch aus einem Moskauer Gefängnis, erschossen. Dies habe die Berliner Justiz erst nach Erhebung der Anklageschrift im Februar erfahren.

Drei Angeklagte verweigerten auch gestern jegliche Aussage, und für einen vierten erklärte sein Anwalt dessen Unzurechnungsfähigkeit. Der Mann sei depressiv und habe unter Tabletten- und Alkoholeinfluß gestanden. Der Richter forderte bis zum nächsten Verhandlungstermin am morgigen Freitag ein psychiatrisches Gutachten. Morgen sollen auch die ersten Zeugen vernommen werden. aku