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Tränen zur Deutschlandpremiere

Polizeiaufgebot und Betroffenheit zur Deutschlandpremiere des Steven-Spielberg-Films „Schindlers Liste“ / Unter den ersten Besuchern auch der Bundespräsident  ■ Von Manfred Riepe und Stefan Müller

Frankfurt/Main (taz) – Wer die Berlinale miterlebt hat, weiß, daß Pressekonferenzen in der Regel steife und unergiebige Veranstaltungen sind. Das höfliche Austauschen unergiebiger Fragen und Antworten ist eine Pflichtübung für die Promotion. Doch dem Hollywood-Magier Steven Spielberg gelang es, die Publicity-Maschinerie des Filmgeschäfts für ein lobenswertes Projekt zu benutzen. So trat am Dienstag im „Hotel Frankfurter Hof“ zur Pressekonferenz anläßlich der Premiere von „Schindlers Liste“ ein den Kinderschuhen entwachsener Spielberg ins Blitzlichtgewitter der Journalisten. Baseballmütze und Turnschuhe, die bislang sein Image als Spielkind signalisierten, hatte der Regisseur gegen ein seriöses Outfit eingetauscht. Es ist schon erstaunlich, wenn der kommerziell erfolgreichste Regisseur aller Zeiten bekennt, es gehe ihm bei „Schindlers Liste“ nicht ums Finanzielle. Am Schicksal der Juden möchte er nichts verdienen: „Ich will kein Blutgeld.“ Jeden Dollar, den der Film einspielt, will Spielberg spenden.

In erster Linie gilt sein Anliegen jenen zahlreichen US-amerikanischen High-School-Kids, die nicht einmal wüßten, wer die Nazis überhaupt waren. Deswegen sei der Film zuvorderst „ein Dokument und keine Unterhaltung“. „Schindlers Liste“ sei ein Film und kein Movie. Auf die Frage, wie „Schindlers Liste“ seiner Meinung nach aufs deutsche Publikum wirken wird, antwortete Spielberg mit Zurückhaltung. Die rassistischen Ausschreitungen in Mölln und Rostock-Lichtenhagen gehen seiner Meinung nach von einer Minderheit aus. Die Dreharbeiten in Krakau beschrieb Spielberg als „vier Monate auf einem Friedhof“. Die immer noch sichtbaren Spuren der Naziherrschaft habe er als bedrückend empfunden. Der Realismus seines Films griff auf den Schöpfer über. Mit Schauspielern, die während der Drehpausen im Kostüm eines Obersturmführers auf dem Set herumstanden, hätte er deswegen nicht einmal Small talk betreiben können.

Der Frage, warum „Schindlers Liste“ nicht im Rahmen der vor kurzem zu Ende gegangenen Berlinale lief, erteilte Spielberg die einfachste aller möglichen Antworten: „Oskar Schindler starb 1974 in Frankfurt.“ In Anwesenheit des Regisseurs gab es zuvor in Paris die Europapremiere. Die Deutschlandpremiere von „Schindlers Liste“ fand im Frankfurter Schauspiel statt, in dessen Kammerspiel einige Jahre zuvor Fassbinders berüchtigtes Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ nicht zur öffentlichen Aufführung kam.

Auf dem Willy-Brandt-Platz (früher Theaterplatz) vor dem Portal herrschte eine Stimmung wie bei den Filmfestspielen in Cannes. Starkes Polizeiaufgebot riegelte den Platz ab. Zutritt zum Schauspielhaus hatten nur die geladenen Gäste.

Bescheiden trat Spielberg vor die Leinwand und hielt eine knappe Ansprache, in der er vor allem die der Vorführung beiwohnenden Schindlerjuden herzlich begrüßte und ihnen den Film widmete. Statt der üblichen Frankfurter Kulturschickeria hatte eine gänzlich andere Klientel diese Veranstaltung frequentiert, die sich vornehmlich aus der Jüdischen Gemeinde zusammensetzte. Außerdem saßen im Publikum geladene Gäste wie der Berliner Filmproduzent „Atze“ Brauner, Marcel Reich-Ranicki und der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis. Bundespräsident Richard von Weizsäcker sowie der Frankfurter Oberbürgermeister Andreas von Schoeler sahen in ihrer Anwesenheit eine Pflicht. Helmut Kohl fehlte.

Die teils schockierenden Bilder führten beim Publikum zu betroffenen Reaktionen. Auch Tränen blieben nicht aus. Eine ältere Dame erlitt angesichts mehrerer Erschießungsszenen einen Schwächeanfall und mußte den Saal verlassen. Mit verhaltenem Applaus wurde am Ende der Film gewürdigt.

Siehe Kommentar Seite 10

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