Für Äthiopiens Bauern hat sich wenig geändert

■ Die Hauptstadt erlebt einen Bauboom – die UNO fürchtet wieder Hungersnot

Addis Abeba/Lalibela (taz) – Als Äthiopiens Diktator Mengistu Haile Mariam 1991 gestürzt wurde und nach Simbabwe floh, hinterließ er eines der ärmsten Länder der Welt. Sein aufgeblähtes Militär hatte jährlich 60 Prozent des Staatshaushaltes gefressen. Sozialistische Kollektivierungspolitik hatte vor allem die Landwirtschaft schwer geschädigt.

Heute kann ein Besucher in Addis Abeba alles kaufen – sogar Benetton-Pullover. Er kann in einem Straßencafé frühstücken, mittags Pizza essen und abends in einem französischen Restaurant dinieren. Überall schießen Wohn- und Bürogebäude aus dem Boden. „In gerade einem halben Jahr haben sehr viele neue Geschäfte aufgemacht“, sagt ein Bewohner. Das Bruttosozialprodukt, das zwischen 1991 und 1992 noch um 9,6 Prozent gesunken war, wuchs im Jahr darauf um 7,6 Prozent.

Die einst in den Bürgerkrieg gesteckten Ressourcen stehen nun als Friedensdividende dem wirtschaftlichen Aufbau zur Verfügung. Die EPRDF-Regierung hat in enger Zusammenarbeit mit Weltbank und Internationalem Währungsfonds (IWF) Liberalisierungsmaßnahmen vorgenommen und ist dafür mit Milliardenhilfen belohnt worden. Mit Erfolg: Der Kaffee-Export ist von 30.000 auf 80.000 Tonnen im Jahr gewachsen; die Auslastung der Fabriken beträgt satte 70 Prozent statt 20 wie zu Kriegszeiten. Die Landeswährung Birr wurde 1992 stark abgewertet, was den Devisenschwarzmarkt ausgetrocknet hat; korrupte Angestellte der Zentralbank, der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft und anderer Institutionen sind entlassen worden.

Direkte Subventionen für Staatsunternehmen gibt es nicht mehr – aber auch noch keine Privatisierungen. Das hat Kritik gebracht: „Die Liberalisierungsmaßnahmen sind nur Kosmetik, um die Geberländer zu beeindrucken“, meint Isaac Kifle, Vorsitzender des oppositionellen „Bürgerkomitees für Wirtschaftsrechte“: „In ihrem Herzen sind die Befreiungsbewegungen, die jetzt an der Macht sind, noch immer ihren alten marxistischen Ideologien verhaftet.“ Die regierende EPRDF wird von der Tigre-Befreiungsfront beherrscht, die zu Zeiten des Krieges noch einem straffen Marxismus-Leninismus anhing.

„Privatisierungen führen zum Verlust von Arbeitsplätzen, und das ist schwierig in einem armen Land, wo es sowieso wenig bezahlte Arbeit gibt“, sagt dagegen der französische Ethnologe Jacques Bureau. Ihn ärgert etwas anderes: „Die Reformen kommen niemandem zugute außer ein paar Dutzend Händlern in Addis Abeba“, meint er.

Die Weltbank und der IWF, die Äthiopiens Strukturanpassungsprogramm bestimmen, legen den Schwerpunkt ihrer Maßnahmen auf die Industrie. Aber 90 Prozent der äthiopischen Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft. Und für den äthiopischen Bauer, der typischerweise in Lumpen gekleidet ist und mit einer einfachen Hacke sein Stück trockener Erde bearbeitet, hat sich wenig verändert. Der Boden gehört noch immer dem Staat; die Bauern haben lediglich das Recht, ihn zu bebauen. Eine Privatisierung des Ackerlandes gilt als unwahrscheinlich – sie wird zur Zeit im Zusammenhang mit der Verfassungsreform diskutiert.

Die Kleinstadt Lalibela im Norden Äthiopiens war von den Hungersnöten 1984 bis 85 mit am schlimmsten betroffen. Jahrelang lebten die 5.000 Bewohner allein von Nahrungsmittelhilfe. In den letzten Jahren sind die Ernten wieder besser geworden, und die Liberalisierung des einst vom Staat monopolisierten Getreidehandels hat die Abhängigkeit der Dörfler verringert. In den Läden gibt es heute mehr zu kaufen. Aber die letzte Ernte war wieder schlechter, und die Bauern verkaufen bereits ihr wertvollstes Eigentum, die Pflugochsen – ein sicheres Warnzeichen, daß sie mit einer neuen Hungersnot rechnen.

„Schon heute gibt es Menschen, die verhungern“, sagt Aleisne Hassen, zweiter Mann in der Lokalverwaltung von Lalibela. „Zehntausende der 180.000 Bewohner dieses Gebietes sind vom Hunger bedroht.“ Das UNO-Welternährungsprogramm (WFP) schätzt, daß in diesem Jahr insgesamt 4,4 Millionen Äthiopier Lebensmittelhilfe brauchen werden.

In den drei Nordprovinzen Wollo, Gondar und Tigre waren schon vor dem Sturz Mengistus die Guerillabewegungen faktisch an der Macht und verteilten Land an die Bauern. Auch die am meisten benachteiligten Gruppen wie alleinstehende Frauen und Landarbeiter wurden mitbedacht. Aber ihre Lage ist dadurch nicht sehr verbessert worden. „Die Frauen können mit ihrem neuen Land nicht viel anfangen, da sie keine Werkzeuge haben“, sagt Hirut Bekele, Lokalvertreter der örtlich tätigen niederländischen Entwicklungshilfsorganisation SNV.

Zwar sind jetzt auch in Lalibela und anderen entlegenen Dörfern Agrarberater der Regierung tätig. „Aber wir brauchen auch Düngemittel, wir müssen modernisieren, wir müssen so viel tun“, seufzt Hassen. „Und dies ist immer noch bloß eine Übergangsregierung. Sie hat keine Zeit gehabt, sich um Landwirtschaft zu kümmern.“ Sinikka Kahl