■ Verhaftung kurdischer Parlamentarier in Ankara
: Nun sind sie dem Wahnsinn verfallen

Ein kurdischer Verleger, den ich gestern abend traf, war guter Laune. „Das ist der Anfang vom Ende. Sie sind wahnsinnig geworden. Es kann nicht mehr lange so weitergehen.“ In der Tat sind die Herrschenden in der Türkei wahnsinnig geworden.

Gewählte Parlamentarier werden vor dem Parlamentsgebäude als „Terroristen“ von Zivilpolizisten abgeschleppt. Deshalb hat das hohe Parlament ihre Immunität aufgehoben. Die Herren Parlamentarier und die Übermutter, die von allen guten Geistern verlassene türkische Ministerpräsidentin Tansu Ciller, legen die kurdische Frage in die Hände derer, die etwas davon verstehen: der Todesschwadronen, die täglich ein Dutzend Menschen in den kurdischen Regionen killen. Militärs, die Dörfer in Brand stecken und Bauern vertreiben. Polizisten, die in Folterkammern Menschen zu Tode quälen.

Bislang dachten wir, es gebe einfache kurdische Bauern, bei denen die Gesetze keine Gültigkeit haben. Mit denen der Staat anstellen kann, was er will. Jetzt haben wir gelernt, daß selbst die Zugehörigkeit zum Parlament nichts zählt. Kritiker im Hohen Haus? Hinweg mit ihnen! Auf der Polizeiwache sind sie gut aufgehoben. Den Rest erledigt das Staatssicherheitsgericht: Die Todesstrafe gegen „Vaterlandsverräter“.

In der Türkei braucht das Militär nicht mehr zu putschen. Der Putsch ist bereits vollbracht. Geputscht hat das Parlament selbst. Es hat sich selbst um seine Legitimation gebracht. Im Parlament werden politische Fragen nicht mehr diskutiert. Der Generalstabschef räuspert sich: „Im Parlament sitzen Verräter.“ Das Parlament, angeblich souverän, exekutiert auf Befehl von oben. Die Abgeordneten der „Demokratischen Partei“ waren die letzten Dialogpartner, die den türkischen Politikern verblieben waren, um eine friedliche Lösung in der kurdischen Frage anzuvisieren. Nun sind diese letzten Dialogpartner auf die Reise zum Schafott geschickt worden. Das Parlament hat den Kriegsstrategen im Generalstab das Feld überlassen und sich selbst entmachtet.

Die türkischen Politiker sind tatsächlich wahnsinnig geworden. Doch den Optimismus meines kurdischen Freundes, daß dies der Anfang vom Ende sei, teile ich nicht. Die türkischen Politiker werden schon jugoslawische Verhältnisse hinkriegen. Schließlich tun sie ja alles, um das Land Schritt für Schritt dem Bürgerkrieg zuzuführen. Die kurdische Guerilla PKK wird nicht abseits stehen. Sie wird viele, viele Bomben legen. Es wird nur noch zwei mordende Parteien geben. Die Wahnsinnigen werden es schon schaffen, das Land in ein Blutmeer zu verwandeln. Ömer Erzeren