Warme Worte für die slawischen Brüder

■ Serbenführer Radovan Karadžić zu Besuch in Moskau

Moskau (taz) – Der Moskau- Besuch des Führers der bosnischen Serben, Radovan Karadžić, hat einen unvermuteten Festtagstrubel im russischen Blätterwald ausgelöst. Als Sieg der russischen Diplomatie feierten auch die gegenüber jeglicher Regierungspolitik traditionell kritisch gestimmten Zeitungen das hier gegebene Versprechen Karadžićs, schon demnächst den Flughafen Tuzla zu öffnen und somit humanitäre Hilfe für Hunderttausende von Bosniern, aber auch für etwa fünfundzwanzigtausend in der Region ansässige Serben zu ermöglichen. Die Zeitung Kommersant daily – Sprachrohr nicht nur der Jungunternehmer, sondern zunehmend auch eines Teiles der „Roten Direktoren“ – nannte dies eine Fortsetzung des „Triumphes von Sarajevo“. Dabei vermutete der Leitartikler des Blattes, daß der Westen dieses Resultat aus purem Neid nicht ohne weiteres schlucken werde, da er sich „noch nicht vom Sarajevoer Sieg Moskaus“ erholt habe.

Nichts zu berichten hatten die Medien dagegen über einen Besuch Karadžićs bei Wladimir Schirinowski. Entweder funktionierte der Abschirmdienst des Neofaschisten so ausgezeichnet, oder es kam ein Treffen der beiden gar nicht zustande. Und das obwohl der Serbenchef den slawischen Radaubruder erst vor kurzem in seinem eigenen Einflußgebiet bewirtet hatte.

Die Bitte um den Einsatz weiterer russischer Blauhelme in Bosnien richtete das Haupt der bosnischen Serben somit direkt an den Zuständigen: den Vorsitzenden der Staatsduma, Iwan Rybkin. Das Treffen dieser beiden Herren am Dienstag abend dauerte über eine Stunde länger als geplant. „Vor der Masse der Journalisten“, so das Handels- und Wandelsblatt Kommersant, „schützten Karadžić seine zahlreichen Bodyguards, die ihre Kampfkraft in den Schlachten mit Moslems und Kroaten erprobt haben“. Die Moskauer Journalisten müßten demnach den Balkan- Muslimen an Kampfkraft überlegen sein, denn es gelang ihnen schließlich, den Serbenchef am Ausgang des Duma-Gebäudes einzukreisen. Der schützte sich in dieser Situation durch altbekannte Formeln: Rußland sei für die Serben im Verlaufe ihrer gesamten Geschichte das wichtigste Land gewesen.

Verwirrung bei einem Reformer

Dankesworte an die Russen ertönten auch am Mittwoch, als Karadžić mit dem Vorsitzenden des Föderationsrates, dem Reformer Wladimir Schumejko, zusammentraf. Was bei letzterem zu einiger Verwirrung führte. Bei einer Pressekonferenz mußte er sich erschreckt korrigieren: „Rußland ist jetzt auf seiten der bosnischen Serben, sprudelte Schumejko heraus, um dann aber zu präzisieren: „Aber nur auf dem Weg Bosniens zum Frieden.“

Weshalb diese Woche in Moskau gelang, was der Westen lange Zeit vergebens zu erreichen versuchte, diese Frage stellte und beantwortete die Regierungszeitung Iswestija. Für den Erfolg bei den Verhandlungen über die Öffnung des Flughafens in Tuzla sei erstens die Hartnäckigkeit der russischen Diplomaten, allen voran diejenige Außenminister Kosyrews, dessen „Ringen“ mit Karadžić keineswegs leicht gewesen sei, verantwortlich. Zweitens nannte die Zeitung die Härte der Nato. Durch den kürzlich erfolgten Abschuß von vier serbischen Flugzeugen über Nordbosnien seien die bosnischen Serben politisch in die Zange genommen worden. Auch Karadžić gegenüber habe man betont, daß Rußland nicht bereit sei, um serbischer Eskapaden willen auf Konfrontationskurs zur Nato zu gehen. „Drittens“, schreibt die Iswestija: „Der Vorschlag Rußlands, eigene Beobachter nach Tuzla zu entsenden, hat es Karadžić erlaubt, sein Gesicht zu wahren.

Ob und wann die fünfzig bereits ausgewählten russischen Beobachter nach Tuzla abfliegen werden, wurde bei dem Besuch des Serbenführers jedoch nicht festgelegt, und so bleibt auch der Zeitpunkt der Landung des ersten Flugzeuges mit humanitären Hilfsgütern weiterhin offen. Sicher ist wohl nur, daß dieses erste Flugzeug ein russisches sein wird, denn das hat Präsident Jelzin lautstark verkündet.

Rußland wird im bosnischen Konflikt kein Statist mehr sein, und der russische Präsident träumt schon öffentlich von einer Friedenskonferenz in Moskau. Ob sein Land aber zur führenden Macht bei der Regelung des Konfliktes auf dem Balkan werden kann, dies hängt nicht zuletzt auch davon ab, an welche Absprachen sich die dort agierenden bewaffneten Formationen halten werden. Und dies – so viel wissen die Russen schon aus leidvoller Erfahrung in der GUS – hängt nicht immer von den politischen Führern ab. Barbara Kerneck