Sozialer Wohnungsbau: Alternativen gesucht

Wohnungspolitik – Mikado und Lotterie / Der Kongreß „Zukunft Wohnen“ will das ändern  ■ Aus Köln Detlef Krell

Städte könnten wir haben: Häuser wie gewachsen, Dächer begrünt und Biotope statt Straßen; niemand muß unter Brücken kampieren, Wohnraum ist dem Einkommen angemessen, die Arbeitsstelle liegt im Stadtteil ... Das sind so Visionen im lichtdurchfluteten Glaspalast des Congreß-Centers am Kölner Rheinufer. Ein trefflicher Ort, wie ein Redner bemerkte, um „in einer dem Reichtum dieser Gesellschaft angemessenen Form“ zwei Tage lang über „Zukunft Wohnen“ zu reden. In der Bewertung bundesdeutscher Wohnungspolitik waren sich die Referenten, Politiker, Architekten, Wissenschaftler, Banker sogar weitgehend einig.

Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) sieht „eine Fülle von absurden Entwicklungen“. 42 Prozent der Mietwohnungen sind unterbelegt, Zehntausende Eigentumswohnungen stehen leer aus Gründen, die der Politiker als „Wahrung von Besitzständen“ beschrieb. Sein Rezept: Der Markt solle die Koordination des Wohnungsbestandes übernehmen, kommunale Wohnungsbestände seien zu privatisieren. Gegen den Trend zu immer mehr Luxus setze Sachsen ein Experiment, erfolgreich. Potentielle Investoren bekommen den Quadratmeterpreis schon in der Ausschreibung vorgeschrieben, und der erhält den Zuschlag, der für diesen Preis den besten Standard anbietet.

Der Münchener Biologe Frederic Vester, Mitglied des Club of Rome, hält es auch aus ökologischen Gründen für „höchste Zeit, daß das Verweilen wieder attraktiver wird als das Reisen“. Dafür sei aber notwendig, sich an die biologischen Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt zu erinnern, „Lebensraum statt Transitstrecken“ zu bauen, „Flächenrecycling statt Flächenverbrauch“ zu betreiben. Die Architekten sollen in die Natur schauen und von ihr lernen, statt pseudomoderne Ungetüme zu modellieren, in denen „mit großem apparativem Aufwand gegen alle natürlichen Kräfte gekämpft werden muß“.

Wohnen in Deutschland sei eine phänomenale Erfolgsstory, meinte angesichts der Statistik der SPD- Bundestagsabgeordnete Christoph Zöpel. Doch diese Story sei von sozialer Ungerechtigkeit gezeichnet. Bei Verdoppelung des Wohnungsbestandes in den letzten zehn Jahren sind die „Härtefälle übriggeblieben“. Mindestens eine Million Menschen suchen eine angemessene Wohnung, 50.000 sind ohne Obdach. Das Mitglied der SPD-Programmkommission forderte „radikale Entrümpelung des Systems der öffentlichen Wohnungsförderung“. So komme die steuerliche Förderung von Wohneigentum nur Leuten mit viel Geld zugute. Die hätten aber alle schon ihr Häusle. Andere, so die Mehrheit der Neubundesbürger, würden von Eigentumsförderung ausgegrenzt.

Warum, fragte Zöpel, wollen so viele Leute eine Eigentumswohnung? Weil sie dort nicht gekündigt werden können. Warum kann dieses Privileg nicht auch für die MieterInnen erschlossen werden? Zudem sollte der Erwerb von Genossenschaftsanteilen dem Steuervorteil für Eigenheimbau gleichgestellt werden. Die Wohnungspolitik solle über eine „normative Miete“ nachdenken, die bei einer Wohnfläche von 25 Quadratmeter pro Person (der deutsche Durchschnitt sind 39 Quadratmeter) etwa 25 Prozent des Einkommens betragen könnte. Ein Teil des Wohnbestandes müsse weiterhin sozial gebunden bleiben, in der Verfügung der Kommunen.

Der soziale Wohnungsbau ist uneffektiv, er verschlingt öffentliche Gelder, die sowieso nicht vorhanden sind, und er beschert, so der Deutsche-Bank-Vorständler Hans Wielens, mindestens der Hälfte der MieterInnen eine „steuerfreie Mieterrente“. Eine Auffassung, die nahezu einhellig auf dem Kongreß vertreten wurde. Der Banker will den Politikern „mehr Mut zum Markt“ machen, der könne den Wählern vermittelt werden, wenn er verbunden ist mit „mehr Mut zu sozialer Gerechtigkeit“. Soweit die wohlgesetzten Worte. Just zur gleichen Zeit haben Länder und Gemeinden in Bonn bei einer Anhörung des Bauausschusses über den Entwurf des Wohnungsbauförderungsgesetzes verlangt, daß der Bund noch mehr Geld für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung stellt. Die Länder wollen, daß in dem Gesetz eine verbindliche Fördersumme festgeschrieben wird; bislang steht sie im Belieben des Bundes.

Es gibt, statistisch, genügend Wohnungen; sie sind nur ungerecht verteilt. Diese ja gar nicht so neue Einsicht allein macht noch keine alternative Wohnungspolitik. Was sich dort zur Zeit abspielt, beschrieb ein Redner als „Mikadospiel“: Wer sich zuerst rührt, hat schon verloren. Kein besseres Beispiel als das der Bundesbauministerin bot sich an, um in einem Nebensatz die Misere namhaft zu machen. Dabei ist an interessanten Ideen kein Mangel. Der Berliner Stadtplaner Roland Stimpel schlug vor, nur noch den Grundbedarf zu subventionieren, nicht den gehobenen Konsum, also diejenigen zu belohnen, die ihren Wohnraum einschränken. Die Natur dürfe nicht weiter mit Eigenheimen zersiedelt werden.

Am Rande der prominenten Absichtserklärungen konnte sich auch ein alternatives Kölner Projekt Gehör verschaffen. Mehrere Bauwagen-BewohnerInnen des Geländes am Raderthalgürtel protestierten gegen die Räumung ihres Wagenparks. In der vergangenen Woche hatte der Gerichtsvollzieher von den 40 bewohnten Bauwagen 36 vom Bulldozer überrollen lassen. „Wir konnten nicht mal unsere Socken oder unsere Papiere vorher rausholen“, berichtete eine Betroffene der Presse. Der Präsident der Bundesarchitektenkammer, Roland Ostertag, gestand bei dieser Gelegenheit, daß auch seine Tochter im Bauwagen lebt. Er forderte Toleranz für alternative Projekte und Ideen der Architekten für neue Wohnformen. Kommentar eines Kongreßteilnehmers beim Mittagstisch: „Wohnen in der City und im Grünen, das will ja jeder.“