SPD gegen Nullrunde bei Tarifverhandlungen

■ Wirtschaftsdebatte im Bundestag gerät zum Wahlkampfauftakt / Blüm: Rot-grüne Koalition als Schreckgespenst / Lafontaine: Auch der Kanzler lernt

Bonn (taz) – Wer will schon zurück zur Postkutsche? Norbert Blüm (CDU) keinesfalls, der der „rot-grünen Philosophie“ in der gestrigen Bundestagsdebatte über den Jahreswirtschaftsbericht eben das anlastete. Er war nicht der einzige aus dem Regierungslager, der sich diesen Geistern widmete. Der geübte Polemiker Otto Graf Lambsdorff (FDP) schlug mit seinem Fazit über das Schreckensszenario roter und grüner Beschlußlagen gleich drei Fliegen mit einer Klappe: „Gegen Rot-Grün ist Herr Stoiber ein Weltbürger.“

Sein Parteikollege Rexrodt hatte die Debatte mit überwiegend guten Nachrichten eröffnet. Die Konjunktur zeige „deutliche Anzeichen einer allmählichen Erholung“, die „Konstitution der Weltwirtschaft“ sei verbesert, der „Preisauftrieb spürbar abgeschwächt“. Der Wirtschaftsminister („Wir tun unsere Schularbeiten“) präsentierte sich als Mann der Tat. 62 von 90 Maßnahmen des Aktionsprogramms der Regierung seien angegangen, ein Drittel stehe noch aus, darunter „wichtige, sensationelle Maßnahmen“.

Die Opposition konterte unbeeindruckt. Der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine (SPD) legte den Finger auf den wunden Punkt: Die Regierung gehe selbst nicht davon aus, daß ihre Politik zum Rückgang der Arbeitslosenquote beitrage. Denn im Jahr 1994 wird die Arbeitslosigkeit weiter steigen, gegenüber 1993 rechnet auch Rexrodt mit 450.000 weiteren Arbeitslosen. „Ordnungspolitisch fehlorientiert“, so urteilte SPD-Wirtschaftsexperte Lafontaine und das gleich mehrfach. Die derzeitige Schwäche läge bei der Investitionstätigkeit und beim privaten Verbrauch. Die für den öffentlichen Dienst angestrebte Nullrunde sei deshalb „konjunkturell nicht verantwortbar“. Ein Arbeitskampf, soweit waren sich SPD und Regierung immerhin einig, sollte vermieden werden. Grundlegend nötig, so Lafontaine, sei eine „intelligentere und gerechtere Verteilung der Arbeit“. Generös bescheinigte er dem Kanzler Erkenntnisfortschritte. „Saulus Kohl“ wandle sich in Sachen Teilzeitarbeit zum Paulus. „Dumm, töricht und absurd“ zitierte Lafontaine den alten Kommentar Kohls zur Arbeitszeitverkürzung und traf dabei auch dessen spezielles Idiom beachtlich gut.

Während die Koalitionsredner rot-grünes Ungemach an die Wand malten, wollte die Opposition keinesfalls durchgehen lassen, daß die Bundesregierung nach 12 Jahren „plötzlich in die Rolle der Opposition schlüpfen möchte“ (Lafontaine). Gregor Gysi (PDS) empfahl den „Offenbarungseid“. Er forderte eine höhere Besteuerung des Finanzkapitals. „Sie haben keine wirtschaftspolitische Kompetenz mehr. Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis“, lautete der Rat, den Werner Schulz (Bündnis 90/ Die Grünen) an Lambsdorff richtete. Schulz begrüßte im übrigen, „wie intensiv sich die Herren mit unserem Progamm beschäftigt haben“. Tissy Bruns