„Wir sind miteinander gut auf den Weg gekommen“

■ taz-Interview mit Stadtentwicklungssenator Thomas Mirow über Hafenstraße und Hafenrandbebauung, über seinen Start als neuer „Planungssenator“, über Visionen, Perspektiven und Konzepte für die Stadt Hamburg und das Umland, über Wohnungsbau, Gewerbeansiedlung und Flächenmanagement

taz: Beginnen wir beim Aktuellsten: der Hafenstraße. Der Bürgermeister hat das Denkverbot aufgehoben. Haben Sie dabei sehr stark Geburtshelfer spielen müssen?

Mirow: Es ging nicht um die Aufhebung eines Denkverbotes. Es gibt eine Situation, in der Entscheidungen gefragt sind, und der Bürgermeister hat seine Position definiert. Daran habe ich mitgewirkt.

Sie haben schon unter Dohnanyi die Vertragslösung mit befördert. Sind Sie ein heimlicher Sympathisant der Hafenstraße?

Ich habe im November 1987 dafür plädiert, die drohende Eskalation zu vermeiden, weil die Folgen aus meiner Sicht unberechenbar gewesen wären.

... und nun müssen Sie in Zukunft den Ober-Richter über die Friedfertigkeit der HafenstraßenbewohnerInnen spielen.

Nein. Darüber werden alle Hamburger und Hamburgerin-nen urteilen können und zumal die 121 Abgeordneten der Bürgerschaft. Im Kooperationsvertrag mit der Statt Partei steht, daß der Senat nur auf einen entsprechenden Beschluß der Bürgerschaft hin räumen läßt. Wenn die Bürgerschaft vor einer solchen Entscheidung stünde, würde sie ihre Bewertung des Verhaltens der Bewohner sicher zum Maßstab nehmen.

Die Hafenstraße hat damit keine Sicherheit, daß ihr Wohlverhalten eine Räumung verhindert.

Auf das Wort des Bürgermeisters ist Verlaß, darauf kann sich jeder stützen.

Das Damoklesschwert Räumungstitel, keine vertragliche Absicherung der BewohnerInnen – das kann wohl kaum ein Dauerzustand sein.

Der Bürgermeister hat einen gangbaren Weg gewiesen. Jetzt muß sich zeigen, ob ein schrittweiser Prozeß der Normalisierung am Hafenrand möglich ist. Wenn das gelingt, wird man auch darüber entscheiden können, auf welcher rechtlichen Grundlage dort dauerhaft gewohnt werden kann.

Welche Spielräume existieren noch bei der Bebauung rund um die Hafenstraßenhäuser?

Nachdem die Bürgerschaft am Donnerstag den Bebauungsplan St.Pauli 35 beschlossen hat, wird der Bauantrag, der sich auf die östliche Baulücke bezieht, innerhalb weniger Tage genehmigt werden. In bezug auf weitere Baulücken wird es eine sorgfältige Prüfung geben, welche weiteren sozialen Infrastrukturmaßnahmen dort noch einbezogen werden können.

Kann es bei der westlichen Baulücke noch Kompromisse zwischen den Vorstellungen der Hafenstraßen-Genossenschaft und der Hafenrand-GmbH geben?

Ich sehe diese nicht, schon weil sich mir bisher nicht vermittelt hat, wie eine andere als die geplante Bau-Variante finanziert werden könnte. Es kann am Hafenrand keine andere finanzielle Behandlung geben als in anderen Teilen der Stadt.

Damit stoßen Sie einen Großteil der St.PaulianerInnen, die hier kräftig mitgeplant haben, vor den Kopf. Lautet Ihr Demokratiekonzept: Stadtplanung von unten ja, aber nur da, wo wir es erlauben?

Es handelt sich hier nicht um einen normalen Bauvorgang wie jeder andere. Wir brauchen an der Hafenstraße dauerhaften Frieden. Und den kann es nur geben, wenn wir die tiefen Gräben, die es in dieser Frage unter den Hamburgern gibt, überbrücken. Das zählt mehr als einzelne Gestaltungsfragen.

Wechseln wir das Thema: In welchem Zustand haben Sie Ihre neue Behörde vorgefunden?

Ich habe hier viele qualifizierte, kreative und engagierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angetroffen. Wir sind miteinander gut auf den Weg gekommen. Sicherlich gibt es auch das eine oder andere Defizit...

...das wüßten wir gern genauer.

Über Stärken spricht man öffentlich, Defizite beseitigt man schrittweise.

Nun sollen Sie mit dieser Behörde nichts Geringeres tun, als die Entwicklung dieser Stadt zu planen. Haben Sie eine Vision, wie Hamburg sich entwickeln soll?

Konzeptionen und Perspektiven können von mir erwartet werden, mit Visionen bin ich zurückhaltend. Die Vision einer Stadt zu entwerfen, von der wir wissen, daß sie von schwer prognostizierbaren politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen – zum Beispiel im mittleren und östlichen Europa – abhängt, lohnt nicht allzusehr. Deshalb möchte ich bei dem bescheideneren Begriff Perspektive bleiben.

Dann nennen Sie uns Ihre konkreten Perspektiven.

Die erste Perspektive ist die Einbettung Hamburgs in die uns umgebende Region. Hamburg darf nicht ohne Abstimmung mit dem Umland wachsen und ausfasern. Die Zugverbindungen müssen funktionieren, für sinnvollen Wohnungsbau darf es kein Kriterium sein, ob er dies- oder jenseits der Hamburger Landesgrenze angesiedelt wird. Die zweite Perspektive ist, daß wir weitere Monostrukturen verhindern. Also bei der Planung neuer Wohngebiete Wohnen, Arbeiten und Freizeit wieder zusammenbrin-gen. Und drittens: mit den Instrumenten der Stadtentwick-lung dazu beitragen, die sozialen Unterschiede in Hamburg zu dämpfen oder gar zu verringern.

Welche Konzepte zur Armutsbekämpfung haben Sie denn zu bieten?

An erster Stelle muß die Förderung von Beschäftigung stehen. Wenn Menschen auf Dauer keine Arbeit finden, nützen auch staatliche Investitionen in die soziale Infrastruktur wenig. Ich bin zutiefst davon überzeugt, daß die Frage der Beschäftigung der Schlüssel...

... wir haben im Moment das Gefühl, dem Wirtschafts- und nicht dem Stadtentwicklungssenator gegenüberzusitzen.

Das sind Querschnittsaufgaben, die erhebliche Aspekte im Bereich Stadtplanung haben. Ich will über die bauliche Entwicklung die Ansiedlung von örtlicher Beschäftigung fördern. Vor allem auch im produzierenden und handwerklichen Bereich.

Wie wollen Sie Wohnen und Arbeiten konkret zueinanderbringen? Wird es mit Ihnen als Stadtentwicklungssenator da nur vorsichtige Schritte bei Neubauvorhaben geben oder auch radikalere Einschnitte: etwa eine Wohnungsbebauung in der City-Nord?

Es hat keinen Sinn, Wohnungen in die City-Nord zu bauen, wenn die Menschen dort weder einkaufen noch ihre Freizeit verbringen können. Was wir verwirklichen wollen ist: Wohnen in verdichteten Stadtteilen und die harmonische Integration von Gewerbe in neue „Wohngebiete“.

Wie wollen Sie den Flächenfraß des Gewerbes eindämmen?

Das Wort Flächenfraß ist irreführend, denn es legt nahe, da gebe es ein Ungeheuer, das losgelassen wurde. Wir wollen ja aber selbst, daß Arbeitsplätze entstehen.

Trotzdem ließe sich durch besseres Flächenmanagement viel Boden sparen.

Das stimmt. Deshalb müssen wir Lösungen in diesem Bereich gemeinsam mit den Unternehmen entwickeln. Abstrakte Auflagen helfen da nicht weiter. Man muß sich aber im klaren sein, daß es Gewerbe gibt, das Flächen braucht. Wenn wir das nicht mehr in die Stadt lassen, werden wir die Folgen tragen müssen.

Wir wollen Ihnen bei der Flächensuche gerne behilflich sein: Orte wie Moorburg und Francop können sich nicht entwickeln, weil sie als Hafenvorratsflächen bereitgehalten werden, ohne daß die Wirtschaftsbehörde sagen könnte, ob sie die Flächen jemals braucht. Dort entstehen weder Wohnungen noch Gewerbeflächen. Wie lange kann sich Hamburg solch brachliegende Potentiale noch leisten?

Wir müssen da abwägen und uns fragen, ob wir es uns leisten können, den Hafen für alle Generationen exakt auf die Fläche zu begrenzen, die er jetzt hat. Die Antwort lautet nein. Anbei sehe ich zukünftige Entwicklungen nicht nur als Einbahnstraße.

Der Wohnungsnot wird kaum beizukommen sein, wenn sich die Entwicklung fortschreibt, daß immer weniger Menschen immer mehr Wohnraum verbrauchen. Was setzen Sie als Politiker dieser Tendenz entgegen?

Sicher kann es nicht einen unbegrenzten individuellen Flächenzuwachs geben. Soweit wir flächensparende Wohnformen anbieten können, die veränderten Ansprüchen genügen, sollten wir das tun. Im übrigen glaube ich, daß es bereits starke ökonomische Regulationsmechanismen gibt. Beim Thema Strafsteuer für Menschen, die viel Wohnraum verbrauchen, habe ich Bedenken. Die Belastung mit Steuern und Gebühren reicht bereits an die Grenze der Zumutbarkeit heran.

Die Fragen stellten Marco Carini und Sannah Koch