Iss echt geil: For ever Punk!

■ Kinderbuchautor Jackie Niebisch mit „Die kleenen Punker aus Berlin“ zu Gast in Hannover

Bereits in der Urzeit gab es eine Unzeit: den Tod der Dinosaurier. Wären die hornplattigen Kollosse schon damals des Sprechens mächtig gewesen wie Jahrmillionen später ihre zweibeinigen Entdecker, hätten sie ihr „no future“ der schnöden, stiefmütterlichen Natur und erbarmungslosen Welt entgegengeschmettert. So aber überließ es der Zufall ein Zeitalter später den Punks, ihre Verzweiflung, ihren Frust, ihre Bitterkeit und Verachtung in zwei Worten hinauszuschreien. Amadeus, „kleener Punker aus Berlin“, ist einer von ihnen – zwar nur gezeichnet, aber mit stilechtem grünen Hahnenkamm, schwerer Eisenkugel am Fußgelenk und der trotzig-schnoddrigen Wesensart seiner lebenden Vorbilder.

Sein Schöpfer, der Hamburger Autor Jackie Niebisch, steht in der Stadtbücherei des Freizeitheims Linden vor seinen jungen Gästen und kratzt sich am Kopf. „Eigentlich dachte ich, es kommen größere Kinder“, sagt er. Aus der wippenden, raunenden und kichernden Gruppe erhebt sich ein Ruf, lauter als das Flüstern ringsum: „Wir sitzen ja auch!“ Das Johlen der Kids schwabbt wie eine Welle auf die anwesenden Erwachsenen – Angestellte der Bibliothek und Lehrerinnen – über. Als hätte sich der Atem der etwa vierzig Menschen in einen einzigen Windstoß verwandelt, beginnt das Mobile über Jackies Haupt zu pendeln und zu kreisen. Bunt bemalt und wenig beachtet, mit violetten Zacken am Rücken und wulstigen Körpern, schaukeln die Pappdinos an der Decke. Kaum zwei Meter weiter prangt das Abbild Amadeus', des kleinen Punker, auf einem torgroßen Stück schwarzer Silofolie. „Geld sparen, schwarz fahren“

und „Die netten Jungs“ ist mit gelben Lettern auf die Folie gesprüht – eine verdreckte, beschriebene Häuserwand mitten in Kreuzberg.

Amadeus ist wirklich ein netter Kerl. Mit viel Charme und noch mehr Witz meistert er in Jackie Niebischs Buch „Die kleenen Punker aus Berlin“ sein Leben zwischen Abfall, Kanalisation und Supermarkt. Er haust in einer Mülltonne, vor deren Fenster sogar ein Kaktus wächst, bettelt die Leute an (“Haste mal 'ne Mark?!“) und setzt sich gegen Polizist Schulze und dessen Verbannungsversuche erfolgreich zur Wehr. Gemeinsam mit drei Freunden und tatkräftig unterstützt von zwei Ratten, bahnt er sich seinen Weg durch den Großstadtdschungel.

Jackie Niebischs bebilderte Geschichte avancierte zum Kultbuch in der Szene: kaum eine Clique, in der es nicht weitergereicht, verschenkt und gelesen wurde. In Hannover, der deutschen Punkhauptstadt Anfang der achtziger Jahre, wanderte das Buch auch später noch von Band zu Band, lasen es unter anderem die „Free Radicals“, die „Kellox“, „Infensi“. Gefiel der „Revolt into Style“ des kleinen Amadeus, sein „Antisinn“? Widerspiegelte das Theatralisch-Komische seines Daseins ihr eigenes Drama der Individuation?

„Eigentlich wollte ich darstellen, unterhalten, abbilden – weniger interpretieren und werten“, sagt der Autor. „Aber natürlich ist keine Darstellungsform frei von Wertung... Schließlich leben wir im Zeitalter des modernen Feudalismus, in einem Parteienstaat, der wie eine Riesenraupe sämtliche Gelder verschlingt. Und dagegen müßte etwas getan werden.“ Allerdings: Nachwuchspunks wolle der Wahl-Hamburger mit der Erzählung nicht schaffen – obwohl sein junges Publikum begeistert ist.

„Iss echt geil“, meint ein bezopftes Mädchen, grinst und wendet sich wieder Jackie zu, der mittels Tastendruck das nächste Bild aus dem Diaprojektor zaubert. Die Drittklassler der Grundschule Harenberger Straße johlen beim Anblick des Polizisten Schulze, der vom Chef „zur Sau gemacht wurde“. Breitrüsselig, mit winzigen Schweinsaugen und verklärtem Blick stiert der Gesetzeshüter glotzäugig von der Leinwand. Die Dinosaurier über seiner Mütze schaukeln bei jeder Lachsalve wie von unsichtbarer Hand berührt – zumindest für dieses Mal unbemerkt von den Kids.

Marita Vollborn