Filmkritik ohne Hingucken

■ „Beruf Neonazi“ in Bremen angekommen und schon wieder abgereist / Meinungsbildung im Trockenkurs

Das Ungeheuerliche: Da steht ein junger Deutscher in der Gaskammer von Auschwitz und dröhnt, daß dort nichts, aber auch gar nichts passiert ist. „Die haben doch alle überlebt.“ Auschwitz, das sei nicht mehr als „ein Disneyland für Osteuropa“, grinst er einem jungen Amerikaner ins Gesicht. Die Szene ist hinlänglich bekannt. Wilfried Bonengel hat sie abgefilmt für „Beruf Neonazi“, und es ist eine der Szenen, die den Film berühmt-berüchtigt gemacht haben. Seit Wochen tobt der Streit, ob der Streifen öffentlich vorgeführt werden soll: Unerträgliche-Werbung-für-einen-Neonazi contra Realität-zeigen,-wie-sie-ist; Ignaz Bubis contra Klaus Theweleit.

Seit Wochen wird über einen Film diskutiert, den kaum jemand gesehen hat. Schon allein die Ankündigung für das Waller Kino 46 zog die Ankündigung von Buttersäure nach sich. Die Kinomacher haben sich entschlossen, die Vorführung erstmal abzusagen. Nicht wegen der Drohungen von außen, wie sie beteuerten, sondern weil sie den Film selbst nicht gesehen hatten und ihn angesichts der Diskussion nicht „ins Blaue hinein“ zeigen wollten, sagte Karl-Heinz Schmid vom Kino.

Eine „Sichtvorführung“ für Interessierte, von der Landesbildstelle organisiert, war am Mittwochabend die bislang erste und einzige Gelegenheit in Bremen, den Film öffentlich zu sehen. Und als handele es sich um Sprengstoff, packten die Organisatoren die Veranstaltung in pädagogische Watte: Anschließend sollte diskutiert werden, ob der Film für Schulen geeignet ist.

Ein Lehrstück: Die ZuschauerInnen hatten noch nicht Platz genommen, da war der Film schon gelaufen, der Film in vielen Köpfen. Da war schon klar, welche Redebeiträge gut anderthalb Stunden später gehalten werden sollten. 2.000 Artikel über den Film hätte sie mittlerweile gesammelt, erzählte eine Vertreterin der Verleihfirma. Und die sind nicht ohne Spuren geblieben. Die Aufgeregtheiten der vergangenen Wochen hatten das Publikum schon vorab gespalten, die Urteile waren klar und wurden genau entlang der vorgegebenen Trennlinien erklärt. Der Abend war ein Lehrstück auch darüber: Ein jeder sieht, was er sehen will. Daß die VertreterInnen der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, der DKP oder der diversen autonomen Gruppen eine Werbeveranstaltung für den Münchner Neonazi Bela Althans gesehen hatten, das war schon klar, bevor auch nur ein Meter Film abgespult war.

„Sehen Sie selbst. Urteilen Sie selbst.“ Das Frankfurter Landgericht hatte den Filmverleihern einen erklärenden Vorspann vorgeschrieben, der mit dem ironisierenden Zitat aus der DDR-Wochenschau „Der Augenzeuge“ endete. Das hätte eigentlich die VVN-, und DKP-VertreterInnen freundlicher stimmen können. Hat es aber nicht.

Selbst sehen, das sollte bestenfalls gestählten Antifas vorbehalten bleiben. Bestenfalls, denn eigentlich sollte der Film genauso sein, wie der Neonazi, den er portraitierte, wie die grölenden Jungmänner, die in verrauchten Hinterzimmern das Sieg Heil suchten – weg, bloß weg sollten die sein. Kaum ein Thema, das solch geradezu pawlowsche Einigkeit erzeugt, wie der Antifaschismus. Minimalkonsens: Der Film braucht eine Kindersicherung.

Die Vorwürfe mündeten immer im Verbot: „Gewisse Visagen duzt man nicht“, schimpfte eine Frau über Filmemacher Bonengel, die Distanzierung von Althans sei nicht deutlich genug angelegt, der Film biete eine Identifikationsfigur an, der Film sei platt. „Die Lehrer würden viel Mühe haben, den Film aus den Köpfen wieder herauszubekommen“, sagte Willy Hundertmark von der VVN. Und daß der Film wieder aus den Köpfen herausmüsse, das sei gar keine Frage.

Selbst die, die für's Zeigen waren, mochten sich ganz und gar nicht zum „selbst Urteilen“ bekennen. Eine Notgemeinschaft der Neonazi-Guckgeschädigten: Daß man niemand mit dem Film „alleinelassen“ dürfe, das sei doch wohl klar, schon gar keine SchülerInnen.

Der Schüler, das unbekannte Wesen: Wie wirkt so ein Streifen? Die Angst vor der möglichen Identifikation wiegt allemal schwerer als das Vertrauen, die jungen Deutschen könnten sehen, was der Film auch zeigt. Der hatte dann seine stärksten Momente, wenn die Kamera lange und ruhig dem eitlen Selbstdarsteller Althans auf die Haut rückte. Dann nämlich gefror das Kameragesicht vollends zur Maske, dann nämlich zerbröselte die zur Schau gestellte Selbstsicherheit.

Und selbst die unerträgliche Szene in Auschwitz endete für den Neonazi im Fiasko, ganz im Gegensatz zur Wahrnehmung der Kritiker. Ja, bei seiner Suade in der Gaskammer standen viele fassungslose BesucherInnen stumm um ihn herum, gab es Widerspruch nur von einem jungen Amerikaner. Ja, der antiautoritäre Habitus Althans, der die „Wahrheiten“ der Alten infrage stellte, der hatte Kraft, der bot Identifikation. Ja, auch bei der Diskussion danach übertölpelte der Rhetoriker Althans sein Gegenüber – aber als der Amerikaner am Ende forderte, Althans solle endlich die Sonnenbrille abnehmen und ihm in die Augen sehen, da konnte ein Althans besichtigt werden, der sich wand und drehte. Da war die bodenlose Leere hinter der smarten Fassade sicht- und spürbar.

Der Film solle lieber nicht in den Schulen gezeigt werden. Das sei die Meinung einer Gruppe von „rechten“ Jugendlichen gewesen, die sich den Streifen ein paar Tage vorher angesehen hatte, berichtete die Bremer Filmemacherin Dagmar Gellert, die bei der Privatvorführung dabeigewesen war. Das Video hatten sich die rechten Kids vom Bremer Neonazi Markus Privenau besorgt. „Der Haß gegen uns wird nur noch größer“, befürchteten die Jugendlichen. „Das sieht so aus, als hätten wir die Welt schon im Griff. Das stimmt doch aber gar nicht.“ Und außerdem würden bei einer Vorführung die Jugendlichen eh nicht ihre wahre Meinung sagen, weil sie Angst hätten, „von den Lehrern einen über den Kopp“ zu kriegen.

Das Kino 46 hat die geplanten drei oder vier Vorführungen abgesagt. Ob der Film doch nochmal laufen soll, das wird in der kommenden Woche entschieden. „Der ist durch die Medien auf so blödsinnige Art hochgepowert worden, daß er jetzt wichtiger genommen wird, als er ist“, findet Karl-Heinz Schmid. Und deshalb: Lieber nicht mehr zeigen.

Eine Zuschauerin: „Manche Leute scheinen zu glauben, wenn sie nur lange genug weggucken, dann verschwindet die Realität.“ Jochen Grabler