Wand und Boden
: Nebenhandlungen auf Kniehöhe

■ Kunst in Berlin jetzt: Dr. Mutabor, Stella Veciana, Schulz, Kunst: Sprache

Jugend ist ja lange schon ein sehr fetischisierter Begriff. Im Rahmen der Ausstellungsreihe „Positionen“ begegnet man manchmal diesem Fetisch: Laut kreischend schieben sich spitz zusammengeschweißte Stahlzähne ineinander, fährt ein Gabelstapler auf Schienen unruhig hin und her. Das Environment-Monster der Dead Chickens leitet „Dr. Mutabors 2. Frühling“ ein, von dem sich die Raab Galerie doch ein wenig die Rückkehr zum „Neuen Wilden“ verspricht. Vertraut mit der Atmosphäre der achtziger Jahre riecht es nach Maschinenöl und frischen Farbe, die Roman Banerjee benutzt hat, um seine Bild-Akte mit Nebenhandlungen auf Kniehöhe auszugestalten.

Auch die Installation von Brad Kwang scheppert zeitgenössisch. „Schreiende Schüssel“ ist Beuys' Idee von Sozialer Plastik im Gesellschafts-Apparat. 20 motorbetriebene Metallbolzen schlagen wie verrückt gegen Blechnäpfe. Der Satz „Anleitung zum Hunger“, den Kwang zur Klärung der Verhältnisse an eine Schultafel geschrieben hat, markiert zwar ein politisches Interesse, wirkt aber in seinem Vertrauen auf die Botschaft selbstgenügsam. Und das Notenblatt mit der Melodie zu „God bless the Child“ verlagert die Szene vom Poverty-Blues in die hinterste Kirchenbank. Mitten im Trubel um Mensch, Maschine und Metall sind die solipsistischen Kugelschreiberzeichnungen von Sascha Kürschner klug deplaziert. Die verschmiert blauen „Protokolle I“ wollen den Weg in die aufreizend bedrohliche Welt nicht finden und geistern statt dessen auf den abgelegenen Pfaden eines Henry Michaux umher.

Bis 5.4., Potsdamer Straße 58, Mo-Fr 10-18.30, Sa 10-14 Uhr.

Die großen Allegorien: Stückwerkweise verbinden sich auf Stella Vecianas Transparenzbildern nicht Katastrophen, sondern Unschuld und Geschichte. Als Figuren für den Wechsel gelten ihr „Fliegende Menschen“, die noch im Fallen Saltos schlagen, bevor sie die feste Hand des Fängers auf der anderen Seite faßt und vorm Sturz in die Tiefe bewahrt. Der Akrobat bei Veciana allerdings ist dem bildenden Künstler anverwandt, und entsprechend läßt er sich ins Leere fallen. Ihm gegenüber ist nur weiße Leinwand oder eine Galerie.

Mit zwei Bildkästen aus Plexiglas hat Veciana Postkartenansichten des Potsdamer Platzes um die Jahrhundertwende und den ins Ungewisse schwingenden Akrobaten verbunden. Die Zeitencollage will die aktuelle Situation der instabilen Kulturpolitik kommentieren, was in einer Ausstellung an so prominenter Stelle zwangsläufig mit der Standortfrage von Kunst zwischen Sony und Daimler-Benz zusammenfällt. Eine zweite Installation „Illusion der Sinne“ bleibt dagegen den Fragen der Ästhetik zugewendet und verschlossen: Fünf heliumgefüllte Ballons, in die Veciana zuvor Zeichnungen von Auge, Ohr, Zunge, Haut und Nase wie Buddelschiffe eingefügt hat, schweben über den Raum verteilt an der Decke. Die Symbole der Wahrnehmung sind dem Wahrgenommenen einverleibt.

Bis 17.3., Wewerka Galerie, Potsdamer Straße 55, Mo-Fr 14-18 Uhr, Sa 11-14 Uhr.

Von Hochhäusern umrankt lukt mitten auf Coney Island eine Achterbahn im Gewirr aus Antennenmasten und wäscheverhängten Balkons hervor. Die Fotografin Wiebke Maria Schulz sucht den banalen Schmuck im amerikanischen Vergnügungs- Mainstream und kehrt auf kleinen sepiagetönten Formaten die verschüttete europäische Abstammung hervor. Der Freizeitpark am Rande New Yorks hat die Erinnerung an seine Vorbilder in Wien oder Prag jedoch längst verloren. Die Schießbuden locken nicht mehr mit Luftgewehren, sondern beugen sich dem Diktat der Straße: Auf Kasperköpfe wird mit dem handlicheren Revolver geschossen. Die Gestalten auf der Geisterbahn haben ihre furchterregenden Züge gegen bekannte Images aus Heavy Metal, Fantasy und Horrorfilmen getauscht. Der kleine Teufel am Ausgang sieht wie abgeblätterte Pop-art aus.

Schulz nutzt den Ausschnitt, um in der Vielzahl sich brechender Details eine flüchtig-ironische Ordnung herzustellen. Plötzlich stolpert man über einen seltsamen K.o.-Automaten mit der Aufforderung „Push Button“, und irgendwer darf dann geschlagen werden, solange es das 25-Cent-Stück erlaubt. Andere Fotos rühren ans Sentiment: der sich in der blanken Mechanik des Karussells spiegelnde Holzgaul trägt die aufgewühlten Gesichtszüge eines Schlachtrosses auf den Gemälden von Delacroix. So läuft die Geschichte im Kreis, auch sonst ein beliebtes Motiv.

Coney Island, bis 7.4., PPS.-Galerie Berlin, Hirtenstraße 19, Mo-Fr 8-21 Uhr, Sa/So 10-18 Uhr.

„Institut für zeitgenössische Kunst und Theorie“ steht auf dem Briefkopf der Kunst-Werke. An dieser Reihenfolge soll sich nichts ändern. Ganz im Gegentum: Wo sonst schwerfälligen Betriebssystemen gedacht wird, zeigt sich Kunst : Sprache völlig unkompliziert und mit ungeahnter Zuneigung für den Gegenstand. Jeder der Hauskuratoren und -kuratorinnen hat auf etwa sieben Quadratmeter Stellfläche Lieblings- Exponate und Sammelstücke ausgewählt, zu einem beredten Ensemble zusammengefügt und mit einer kurzen Erläuterung versehen. Noch der unscheinbarste Gegenstand lernt auf diesem Wege sprechen, zum Beispiel Thomas Kapielskis „Frisches Hemd 285.-“, von dem es in Peter Funkens Kurzanalyse heißt: „Das Kunstwerk habe ich genau gegenüber von meinem Bett aufgehängt, sodaß ich jeden Morgen beim Aufwachen auf einen wirklich frischen Gegenstand schauen kann.“ Das knitterige Hemd voller Brandflecken möchte der liebevollen Bekundung kaum widersprechen. Weiter erfährt man, warum für Klaus Biesenbach das Geburts-Foto von Gundula Schulze seine Erfahrungen mit selbstentworfenen Künstlerfamilien – speziell der Rosenberg/Millerschen – widerspiegelt, und daß Thomas Wulffen sich für ein Bild der Gruppe Tödliche Doris ebenso begeistern kann wie für den unendlich auswachsenden Bild-Text-Apparat eines Rémy Zaugg. Barbara Straka wollte trotzdem einen Kabakov zeigen, Wolfgang Winkler erklärt sich mit seinem Beuys-Auflagenobjekt solidarisch und Bojana Peijic nutzt den schmalen Reflektionsrahmen neben den „Kunstdingen“: „They remind me that, when „art“ happened, I was there.“ Harald Fricke

Bis 6.3., Auguststraße 69, Sa/So 14-18 Uhr. Heute um 16 Uhr: Diskussion mit den Kuratoren.