Berlin ist nicht ihre Heimat

■ Viele junge Türken und Kurden fühlen sich in Berlin nicht mehr wohl 7 Ausländerhaß gehört zum Alltag / 53 Prozent der Berliner Türken haben Diskriminierungen erfahren

Fatma sitzt im Bus, sie ist auf dem Weg nach Hause. Ein Betrunkener steigt ein. Er zieht ein Messer aus der Jackentasche, dreht sich zu einem ausländisch aussehenden Fahrgast hin und schreit ihm ins Gesicht: „Ihr Scheiß Türken! Scheiß Polacken!“ Der dunkelhaarige Mann entgegnet ruhig: „Warum sagen Sie das?“ Daraufhin schlägt ihm der Betrunkene mit der Faust in den Bauch und stürmt an der nächsten Haltestelle aus dem Bus. Die anderen Fahrgäste blicken dem Schläger entsetzt nach, einige tun jedoch so, als hätten sie nichts bemerkt. Keiner kam dem dunkelhaarigen Mann zu Hilfe, als der Betrunkene ihn beschimpfte und schlug.

„Ich kann nicht verstehen, wieso niemand etwas unternimmt“, sagt Fatma. Viele ihrer Freunde waren schon einmal Opfer rassistischer Beschimpfungen oder Gewalttaten. Seit diese Vorfälle zugenommen haben, fühlt sich die 18jährige Kurdin Fatma in Berlin nicht mehr wohl.

Heimat – was bedeutet das für eine junge Kurdin, in der Türkei geboren und in Berlin aufgewachsen? „Heimat ist da, wo man sich wohl fühlt“, meint die 23jährige Yildiz. Cem, 26 Jahre alt und seit zwölf Jahren in Deutschland, hat sich schon lange keine Gedanken mehr gemacht, wo seine Heimat liegt. Für Yildiz, Fatma und Cem steht jedoch eines fest: Berlin ist nicht ihre Heimat.

Das war früher anders. „Seit der Vereinigung ist das Klima in Deutschland aggressiver geworden", sagt Yildiz. Sie glaubt, daran sei vor allem die steigende Arbeitslosigkeit schuld. „Die Politiker haben bei der Vereinigung nicht bedacht, daß es Probleme im Zusammenleben zwischen Ost- und Westdeutschen geben wird. Die sozialen Verhältnisse sind zu unterschiedlich“, sagt Cem. Bevor die Mauer gefallen ist, hatte keiner der drei Rassismus erlebt.

Eine Umfrage unter 1.522 türkischen BerlinerInnen, die die Ausländerbeauftragte Barbara John (CDU) in Auftrag gegeben hat, kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. 88 Prozent der Befragten erkennen für sich keine positiven Folgen der Vereinigung Deutschlands. Als negative Folgen nennen sie unter anderem Arbeitslosigkeit und Ausländerfeindlichkeit. Zwar sind auch Deutsche von Arbeitslosigkeit betroffen, „jedoch darf nicht übersehen werden, daß die Arbeitslosigkeit gerade bei der türkischen Wohnbevölkerung überproportional gewachsen ist“, sagt John. 53 Prozent der Befragten wurden schon mindestens einmal wegen ihrer Herkunft diskriminiert, vor allem bei der Arbeit, bei der Arbeits- und Wohnungssuche und bei Kontakten mit der Polizei. Nach Auskunft der Berliner Ausländerbeauftragten seien die Zahlen gegenüber 1991 deutlich gestiegen.

Wenn sie die Ausländerfeindlichkeit vieler Deutscher nicht so oft zu spüren bekämen, würden sich Fatma, Cem und Yildiz in Berlin wohl fühlen. Ein Leben in der Türkei ist für sie keine Lösung. Fatmas Freund Murat will in einigen Jahren in die Türkei gehen. Obwohl der 18jährige in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, glaubt er, in der Türkei besser leben zu können. „Ich habe es langsam satt, daß wir so oft beschimpft werden“, sagt Murat, der in einem deutschen Malerbetrieb arbeitet. Dort hat er zwar Freunde, doch es gebe auch viele Angestellte mit Vorurteilen gegen Ausländer. Murat will deshalb keinen deutschen Paß beantragen. „Ich kann mich nicht als Deutscher fühlen“, sagt er in seinem Berliner Dialekt, „hier gibt mir kaum einer das Gefühl, willkommen zu sein.“

Fatma glaubt jedoch, daß er in der Türkei auch Probleme haben wird, sich in die Gesellschaft einzufügen, denn er könne auf türkisch ja nicht mal fehlerfrei schreiben. „Am liebsten hätte ich den türkischen und den deutschen Paß, denn ich fühle mich in beiden Kulturen zu Hause“, sagt Cem. Wichtig fände er, daß Ausländer, die schon lange in Deutschland leben, das kommunale Wahlrecht erhalten. „Nur, wenn wir wählen dürfen, werden die Politiker auch etwas für uns tun“, meint Yildiz.

Ändern muß sich jedenfalls bald etwas. Murat sagt, daß er in den letzten Jahren aggressiver geworden sei. Zu oft hat er schon Vorfälle, wie Fatma sie im Bus erlebt hat, gesehen oder von ihnen gehört. „Für mich ist die Grenze des Erträglichen bald erreicht“, sagt der 18jährige. Er will nicht mehr länger nur zusehen, wenn ein Betrunkener einen Dunkelhaarigen beschimpft und in den Bauch schlägt. „Man muß sich einmischen. Irgendwann schlage ich zu.“ Annabel Wahba