„Nicht rechtmäßig im Islam“

■ Militante Islamisten wollen mit Anschlägen gegen Urlauber die Achillesferse des ägyptischen Regimes treffen

Es ist nur noch eine Handvoll Menschen, die am Kairoer Flughafen auf ihre Gepäckstücke aus der Berliner Maschine wartet. Ein trauriges Häuflein, das den gegenwärtigen Stand des Reiselandes Ägypten symbolisiert.

Der Tourismusminister Mamdouh Al-Beltagy drückt die Misere mathematisch aus. Die Zahl der Touristen ist letztes Jahr im Vergleich zum Vorjahr um 21,9 Prozent zurückgegangen, die Einnahmen aus Tourismus um 42,5 Prozent. „1993 war ein Jahr voller Krisen“, zieht er kurz auf einer Tourismusbörse in Kairo vor einem Monat Bilanz. Zu diesem Jahr möchte er lieber keine Prognosen stellen.

Das Land der Pharaonen ist in den letzten Jahren immer mehr zum Synonym für Attacken militanter Islamisten auf Touristen geworden. In den letzten Wochen trafen Schriftstücke bei ausländischen Nachrichtenagenturen ein, die Touristen und ausländische Investoren aufforderten, das Land zu verlassen. Unterzeichnet waren sie von den gamaat al-islamiya, einer militanten islamistischen Gruppierung, die schon in den letzten Monaten bei Anschlägen auf Polizeioffiziere, christliche Kopten und eben auch Touristen von sich reden machte. „Jeder kann solche Faxe herausschicken“, betonen ägyptische Offizielle und versuchen solche Vorfälle herunterzuspielen. Sie geben die Mär vom „sichersten Land der Welt“ aus.

Viele ausländische Medien machen das Gegenteil. So mancher Bericht hinterläßt den Eindruck, als ob in Ägypten inzwischen systematisch Jagd auf Reisende gemacht wird. Vergleiche mit Algerien werden gezogen, einem Land, in dem inzwischen ein offener Krieg zwischen Militärregierung und militanter islamistischer Opposition ausgebrochen ist. Das beeindruckt und verkauft sich überdies ganz gut.

Die Wahrheit liegt wahrscheinlich irgendwo in der Mitte. Seit Oktober 1992 starben sieben Touristen in Ägypten durch Anschläge. In manchen Fällen war es ein Verrückter, oft erklärten sich aber auch die militanten Islamisten verantwortlich. Doch selbst sie sind in dieser Frage offenbar gespalten. Einige sehen gern, daß sie mit dem Tourismus die Achillesferse des Regimes treffen können. Dessen Lebenselixier stellt sich zum Teil aus den Tourismus-Einnahmen zusammen.

Andere wie Scheich Hassan Al- Halawi, ein zu 15 Jahren verurteilter Führer der militanten Dschihad-Gruppe, schlägt andere Töne an. „Rache anzudrohen, friedliche Bürger, Ausländer und Unschuldige zu ermorden ist nicht rechtmäßig im Islam, sondern entstellt dessen Lehren und Religion und ist ein falsches Verständnis der religiösen Texte“, ließ er vor wenigen Tagen aus dem Gefängnis verlauten. Seine Gruppe konzentriert sich dann auch mit ihren Anschlägen mehr auf Politiker und hohe Offiziere. Schüsse auf Touristen schießen oft zurück. Damit steigen die Militanten nicht unbedingt in der Beliebtheitsskala der ägyptischen Bevölkerung. Es ist nicht nur die Regierung, die von dem Touristen-Mammon abhängt.

Das Ganze ist also doch wesentlich komplexer, als das manchmal in den Medien erscheinen mag. Es ist nicht bei 55 Millionen ÄgypterInnen der blanke Ausländerhaß ausgebrochen. Jeder Ausländer in Deutschland kann da ganz andere Geschichten erzählen, in denen ihm die Ausländerfeindlichkeit seiner teutonischen Mitbürger entgegenschlägt.

Mitunter kann es heute wesentlich gefährlicher sein, ins US-amerikanische Florida zu fahren. Dort fielen allein im letzten Jahr neun Reisende Raubmorden zum Opfer. Derartige Nachrichten können aber selten mit muslimischem Fundamentalismus in Verbindung gebracht werden. Und hier sollte sich mancher westliche Medienmacher an der eigenen Nase fassen. Warum ist der amerikanische Touristen-Raubmörder soviel weniger aufsehenerregend als sein muslimisch meuchelnder Counterpart?

Sicherlich, in einem Fall wird der Ausländer zum erklärten Ziel, im anderen wird er zum unerklärten Ziel aufgrund seiner vollen Brieftasche oder einer teuren Armbanduhr. Doch spielt beim besonderen Interesse am ersten nicht auch ein wenig abendländischer Kulturkampf gegen den „fanatischen Orient“ mit?

Kann man also doch noch ins Land des Nils fahren? Bei manchen Touristenvereinigungen läuft inzwischen Ägypten in der gleichen Gefahren-Kategorie wie das Kriegsgebiet des ehemaligen Jugoslawien, und wer käme auf die Idee, dort Urlaub zu machen?

Doch in weiten Teilen Ägyptens, wie in Sinai oder an der Rotmeerküste, läuft man dieser Tage wohl eher Gefahr, von Regenfluten ins Meer gespült zu werden, als im terroristischen Kugelhagel sein Leben zu lassen. Bisher wurden von dort keine Anschläge gemeldet.

Aber Tourismus ist nun einmal sensibel. Warum sollte ich nach Ägypten fahren, wenn ich mir genausogut bei einem Glas Retsina in Griechenland meinen Wanst bräunen kann, ohne über solche schrecklichen Dinge nachdenken zu müssen? Das hängt sicherlich auch vom Interesse am jeweiligen Land ab. Am Ende muß jeder diese Frage für sich selbst beantworten. Karim El-Gawhary