„Wir müssen uns daran gewöhnen“

■ Die türkische Arbeiterpartei (PKK) will mit Anschlägen auf touristische Einrichtungen die türkische Wirtschaft treffen und Urlauber fernhalten

Es war eine spektakuläre Entführung von Urlaubern, mit der die kurdische Guerillaorganisation PKK, die Arbeiterpartei Kurdistans, sich einen Platz in den deutschen Medien eroberte. Die kurdischen Guerilleros entführten Anfang August 1991 zehn deutsche Touristen, die in der Nähe des Nemrut-Berges auf freier Strecke übernachtet hatten. Über eine Woche befanden sich die Urlauber in der Gewalt der Guerilleros. Schließlich kündigte in Bonn ein Sprecher der „Nationalen Befreiungsfront Kurdistans“, einer Nebenorganisation der PKK, die Freilassung der Urlauber an. Unversehrt kamen die Geiseln wieder frei. Es war nicht die einzige Entführung, die auf das Konto der PKK ging. Im Laufe der vergangenen Jahre sind insgesamt 27 Ausländer von den Guerilleros entführt und wieder freigelassen worden. In allen Fällen wurden Ausländer entführt, die sich in das kurdische Bürgerkriegsgebiet, wo die PKK seit 1984 einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führt, gewagt hatten.

Doch die Eskalation der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischer kurdischer Guerilla und türkischer – über zehntausend Menschen, unter ihnen viele kurdische Zivilisten sind dem dreckigen Krieg zum Opfer gefallen – hatte auch Auswirkungen auf die touristischen Zentren am Mittelmeer und an der ägäischen Küste. Bei einem Bombenanschlag vergangenen Juni wurden drei Urlauber in der Hafenstadt Antalya verletzt. Im Juli vergangenen Jahres detonierte in dem Ferienzentrum Kusadasi an der ägäischen Küste eine Bombe. Achtzehn Urlauber wurden verletzt.

Die PKK ruft Urlauber dazu auf, die Türkei als Reiseland zu boykottieren, und hat auch in diesem Jahr Anschläge in den westlichen Großstädten sowie in touristischen Regionen angekündigt. Die PKK legitimiert ihre Anschläge mit der Begründung, daß durch den Tourismus der Krieg der türkischen Armee gegen die Kurden finanziert werde. In dem offiziellen Organ der PKK, Serxwebun, heißt es: „Gegen den türkischen Staat, der die Existenz unseres Volkes angreift, wird die PKK alle möglichen Maßnahmen ergreifen. Taktisch bedeutet das, sich den Finanzierungsquellen des Krieges zuzuwenden.“ Der boomende türkische Tourismus, einer der bedeutenden Deviseneinnahmequellen der türkischen Ökonomie, wird zum Angriffsziel erklärt.

Doch die Anschläge der PKK gelten nicht nur explizit touristischen Zielen. Vor zwei Monaten plazierte die Organisation Bomben in vier Fernbussen. In der Türkei, wo das Bahnnetz schwach entwickelt ist, sind Busse wichtigstes Fernverkehrsmittel. Drei Menschen wurden getötet und siebzehn Menschen verletzt, als die Zeitbomben während der Fahrt detonierten. Vor wenigen Wochen explodierten auf einem S-Bahnhof in Istanbul Bomben. Grausame Szenen mit zerfetzten Körperteilen und Blutlachen wurden im Fernsehen gesendet. Die Opfer – 5 Tote und 29 Verletzte – waren zumeist Soldaten, die ihren Wochenendurlaub antraten. Doch auch Zivilisten gehörten zu den Opfern.

Mit einem Ende der Anschläge ist nicht zu rechnen. Der türkische Staat hat in den kurdischen Regionen einen regelrechten Vernichtungsfeldzug gegen die PKK, dem auch viele kurdische Zivilisten zum Opfer fallen, angetreten. In Verlautbarungen türkischer Politiker ist die Rede von der „Ausmerzung der PKK“.

Die PKK ihrerseits reagiert mit Anschlägen im Westen der Türkei, deren Opfer unschuldige Zivilisten oder eben auch Urlauber sein können. Solange eine politische Lösung der kurdischen Frage in der Türkei nicht in Sicht ist, wird es keinen Alltag ohne Bomben und Anschläge geben. Betrachtet man allerdings das statistische Risiko für Urlauber, ist die Türkei, abgesehen von den kurdischen Bürgerkriegsgebieten im Südosten, trotz allem ein relativ sicheres Reiseland. Noch herrschen keine Zustände wie in Algerien.

Die türkische Tourismusbranche hat sich mittlerweile darauf eingestellt, mit den Verhältnissen zu leben. Cihansan Gülle vom großen türkischen Reiseveranstalter Setur meint: „Wir müssen uns daran gewöhnen, daß Terrorismus jeden Winkel der Welt treffen kann. Er kann in Italien, Spanien und Griechenland zuschlagen. Es muß eben als etwas Normales hingenommen werden.“ Ömer Erzeren