Hemmungsloser Tourismus

■ Thema: „Tourismus und interkulturelle Kommunikation“

„Wir kommunizieren nicht, wir verkaufen Betten!“ behauptet ein Touristikunternehmen. Doch die die reine Bettenlehre ist falsch, weil die Urlaubsmacher neben dem Bettenverkauf auch kommunizieren: etwa über Standort, Qualität und Preis der Betten.

Lutz Huth (Professor für verbale Kommunikation) plädierte auf dem Symposion „Tourismus und interkulturelle Kommunikation“ an der Hochschule der Künste Berlin vollmundig für den „hemmungslosen Tourismus“. Wie jedes andere Dienstleistungsgewerbe unterliege der Tourismus den Gewinn-und-Verlust-Bedingungen eines industriellen Unternehmens. Wirtschaftsfremde Gesichtspunkte wie Kulturbegegnungen hätten keine Bedeutung. Doch nur wenige wollten den Tourismus auf ein moralisches Podest stellen. Huth zitiert den französischen Philosophen Baudrillard („Wo der erste Fremde in ein Dorf kommt, verändert er dies“) und votiert füreine „Weltkultur mit regionalen Differenzen“, in der Reservatsmentalitäten („Kein McDonald's in Budapest!“) abwegig seien.

Touristen ans moralische Gängelband zu legen, findet Huth abstrus: „Wer das Spätprogramm von RTL guckt, dem kann man doch nicht verwehren, daß er sich die Live-Variante im Fernen Osten sucht.“ Doch immer weniger TouristInnen suchten das Fremde, sondern das Eigene in der Fremde: „Die Zunahme der Reisetätigkeit verhält sich umgekehrt proportional zum Erlebniswert des Fremden.“ Das Verstehen der Fremde werde den eigenen Klischees untergeordnet: nach dem Muster „Je weiter südlich, desto dreckiger“ (Negativklischee); „der edle Wilde“ (Positivklischee).

Die „ausgesprochen eurozentristische Kritik am Massentourismus“ (eine Stimme im Publikum) verleugne die Tatsache, daß der Tourismus für bestimmte Dritte- Welt-Länder eine wichtige, alternativlose Einnahmequelle sei. Für den Ethnologen Christian Adler ist der hemmungslose Tourismus eine „bedauerliche Realität“. Das Hauptproblem sei aber gerade die „völlig unkontrollierte touristische Entwicklung“, die die Regierungen vorantrieben. Auf den Philippinen folge ein touristischer Masterplan dem nächsten. Mustang, das „verbotene Königreich“ im Himalaja, habe sich kürzlich dem Trekking-Tourismus geöffnet; nur Bhutan würde den Touristenstrom noch streng regulieren.

Rainer Ortlepp, PR-Leiter des Branchenriesen TUI, will den hemmungslosen Tourismus, aber „sanfter, wenn es denn geht“. So habe sich die TUI an die Spitze der Bewegung „Kein Flughafen auf Gomera!“ gesetzt. Auch für Ortlepp will die Masse der TouristInnen in der Urlaubsfremde die Kopie ihres Zuhause: Statt mallorquinischer Küche Schweinshaxe. „In Palma de Mallorca gab es 20.000 Unterschriften gegen den Abriß der Strandkneipe Ballermann“ (deutschtrunkenes Sauselokal).

Markus Rege (Marketingleiter von SSR-Reisen Zürich) steht zur ökonomischen und sozialen Verantwortung seines Unternehmens. Das heißt in puncto Energie: Von Zürich nach Paris nur mit der Bahn. In puncto gesellschaftliche Verhältnisse: Tourismusboykott der Türkei.

Wo kann man/frau denn überhaupt noch hinreisen, ohne gewachsene Kulturen und die Umwelt zu zerstören? „Palma de Mallorca“, so TUI-Ortlepp, „dort kann man keine Kultur mehr kaputtmachen.“ Günter Ermlich