Task Force für Florida-Touristen

■ Amerikas kostbares Importgut, Touristen, kommen nach Überfällen im Vergnügungsparadies nur noch spärlich. Branchenvertreter und Politiker haben ein Sicherheitspaket geschnürt

Es kann zum Fluch werden, wenn man sich vor dem Rest der Welt zum Vergnügungspark erklärt hat. „Disneyland“, „Sea World“, „Busch Gardens“, „Parrot Jungle“ oder „Waltzing Waters“ heißen die Traumwelten, die Florida seinen BesucherInnen bietet – inklusive der Illusion, daß Fiktion immer noch das beste Mittel gegen die Realität ist.

Der Schock ist um so größer, wenn in einer solch heilen Welt Risse auftauchen – nicht nur wetterbedingt. Eine besondere Art von Schneefall, der Kokainhandel, hat dem Urlaubsparadies den zweifelhaften Ruf eines Drogenumschlagplatzes eingebracht. Und schließlich traf es den Bundesstaat besonders empfindlich: Die böse Realität der Gewaltkriminalität traf die heile Urlaubswelt. Neun TouristInnen wurden innerhalb der letzten anderthalb Jahre bei Raubüberfällen ermordet.

Nun ist weder Gewaltkriminalität ein neues Phänomen noch der Umstand, daß Reisende potentiell leichte Beute für einheimische Diebe und Räuber darstellen. In diesem Fall erregten die Systematik und die Brutalität der TäterInnen die Aufmerksamkeit der Medien – und die, allerdings nie offen ausgesprochene, Tatsache, daß sich die tödliche Gewalt von Jugendlichen aus den schwarzen Ghettos plötzlich nicht mehr nur gegen andere Jugendliche aus den schwarzen Ghettos richtete, sondern gegen weiße TouristInnen.

Der 13jährige Cedric Green, der 14jährige Aundra Akins und die beiden 16jährigen Deron Spear und John Crumity erschossen am frühen Morgen des 14. September 1993 bei einem Raubüberfall den britischen Touristen Gary Colley und verletzten dessen Freundin Margaret Ann Jagger auf einem Rastplatz. Die vier Jugendlichen stammen aus einer Sozialsiedlung, wo sie in einem Auto wohnten.

Wenige Tage vor dem Mord an Colley hatte die 20jährige Patsy Jones in Begleitung zweier 19jähriger Freunde den deutschen Touristen Uwe Wilhelm Rakebrand auf dem Weg vom Flughafen zu seinem Hotel erschossen. Jones war ohne Abschluß von der Schule abgegangen und wenige Wochen vor dem Mord wegen Raubverdachts und Waffenbesitzes festgenommen, dann aber wieder freigelassen worden.

Beide, Colley und Rakebrand, waren, wie zahlreiche Raubopfer zuvor, als Touristen zu identifizieren, weil ihre Autos an Aufklebern und Kennzeichen als Mietwagen zu erkennen waren. Das ist mehr als nur ein Tatbestandsmerkmal: Es hat jenes Gefühl der Sicherheit unterminiert, das in den USA mit dem Auto verbunden ist. Der eigene Wagen, so der Mythos, ist nicht nur Garant für Mobilität. Er ist auch sicheres Transportmittel, mit dem sich Millionen jeden Morgen aus ihrem sicheren Suburbia zur Arbeit in die Innenstadt bewegen. Das Auto ist auch für Millionen von Touristen das Transportmittel. Es gewährt auch Sicherheit in Gegenden, wo man sich zu Fuß nicht hinwagen würde. Schon vor Jahren machten in Miami „Autobahnräuber“ Schlagzeilen. Sie überfielen AutofahrerInnen, die auf den Highways durch Miamis Ghettos im Stau steckenblieben.

Nun sind TouristInnen für Floridas politische Elite mindestens so wichtig wie die BewohnerInnen von Suburbia. Im Gegensatz zu letzteren haben die BesucherInnen aus dem Ausland zwar kein Wahlrecht, doch sie sind Floridas kostbarstes Importgut. Sie kosten kein Geld, sondern bringen rund 31 Milliarden Dollar im Jahr ein.

Der Staat und seine Fremdenverkehrsindustrie reagierten entsprechend: Nach dem Mord an Rakebrand stellten sich der Gouverneur und VertreterInnen von Tourismusverbänden höchstpersönlich der Presse, setzten hohe Fahndungsprämien aus und versprachen hartes Durchgreifen gegen die TäterInnen. Die Nationalität des Opfers dürfte dabei keine unerhebliche Rolle gespielt haben. Die Deutschen stellen nach den Kanadiern und Engländern die drittgrößte Touristengruppe. Nach Angaben des staatlichen Fremdenverkehrsamts, der „Florida Division of Tourism“ landeten 1992 600.000 Deutsche in Florida. Was sie für die Tourismusbranche so attraktiv macht, ist der in aller Welt beneidete lange Jahresurlaub.

Wenn denn Krisenstimmung herrscht in der Florida Division of Tourism, so läßt man sie sich nicht anmerken. Zwischen Januar und Mai 1993 sind nach offiziellen Angaben die Besucherzahlen gestiegen. 1,7 Millionen TouristInnen gaben bei der Einreise Florida als Ziel an, darunter 223.000 Deutsche, was im Vergleich zum entsprechenden Zeitraum des Vorjahrs einem Zuwachs von 16 Prozent entspricht. Spannender wären natürlich die Zahlen für die folgenden Monate, in denen Verbrechen an TouristInnen weitaus mehr Schlagzeilen machten. Keine Angaben aufgrund von Computerproblemen, bedauert die Sprecherin des Fremdenverkehrsamts. Hoteliers und Taxifahrern in Miami Beach beklagen einen Umsatzrückgang um bis zu 20 Prozent.

Wichtige Überlebenstips

So oder so, man läßt sich die Sicherheit der UrlauberInnen etwas kosten. Bereits im Februar 1992, nachdem Raubüberfälle auf TouristInnen vor allem im Umkreis des Flughafens von Miami zugenommen hatten, bildeten Regierungs- und Industrievertreter eine „Task Force on Tourist Safety“, die Floridas Gouverneur Lawton Chiles eine Reihe von Vorschlägen unterbreitete. Bei näherem Hinsehen entpuppt sich der Katalog eher als Law-and-order-Programm, das der Bestrafung der TäterInnen weit höhere Priorität einräumt als der Frage der Prävention. So will der Sunshine State seine Bettenkapazität bis Ende 1994 um ingesamt 24.000 Gefängnispritschen erweitern. 10.500 hat das Parlament bereits im letzten Mai genehmigt, 14.000 weitere will Chiles in einem Gesetzespaket zur Verbrechensbekämpfung beantragen. Kostenpunkt: 53 Millionen Dollar. Hinzu kommen 60 Millionen Dollar für den Bau von sogenannten boot camps, militärisch organisierten Drill-Camps für jugendliche StraftäterInnen, und 61 Millionen Dollar für Sonderschulen für gefährdete und gefährliche Jugendliche. Die Stadt Miami hat darüber hinaus eine verwirrende Vielfalt von Sondereinheiten der Polizei geschaffen. Auf den Stadtautobahnen, rund um den Flughafen und an den Stränden wachen nun Mitglieder der „Robbery Intervention Detail“, des „Tourist Robbery Abatement Program“, der „Violent Street Crime Task Force“, der „Ocean Drive Police Squad“ oder des „Sunny Isles Tourist and Residents Program“.

Man hat sich darüber hinaus natürlich auch einige Schutzmaßnahmen einfallen lassen, die TouristInnen direkt zugute kommen. Autovermietungen müssen ihre Mietwagen inzwischen als solche unkenntlich machen; die Straßen um den höchst unwirtlich gelegenen Flughafen sollen demnächst ausgeleuchtet werden; 80 mit Palmen versehene Schilder weisen mittlerweile den Weg zum Strand. Den BesucherInnen wird gleich bei der Ankunft ein Infoblatt mit Überlebenstips: „Alles Gepäck in den Kofferraum“, „Nie an den Rand fahren, um den Stadtplan zu studieren“, und vor allem nie auf das klassische Überfallschema hereinfallen: „Nie stehenbleiben und aussteigen, wenn ein anderer von hinten auffährt“.

An der Nützlichkeit dieser Ratschläge und Maßnahmen zweifelt niemand. Unter anderem die enorme Polizeipräsenz und das gesteigerte Sicherheitsbewußtsein der UrlauberInnen dürfte dazu beigetragen haben, daß zum Beispiel das deutsche Generalkonsulat in Miami „nur“ noch 15 bis 20 Raubopfern im Monat zu neuen Reisedokumenten oder Rückflugtickets verhelfen muß. Früher waren es fünf bis sieben Fälle pro Tag.

Doch Florida wäre nicht das Land der Illusionen, wenn man in diesem Fall nicht optimistisch in die Zukunft schaute: man gibt sich der Illusion hin, daß die heile Welt des Fremdenverkehrs von der kaputten Realität der Ghettos abzuschotten ist.

Dort, in den schwarzen Wohnvierteln von Liberty City oder Overtown, registriert man mit unendlicher Verbitterung, wieviel staatliche Aufmerksamkeit und Finanzmittel plötzlich mobilisiert werden, wenn ein weißer Tourist ermordet wird. Über 600 Menschen sind allein in den ersten sechs Monaten des Jahres 1993 durch Mord ums Leben gekommen. 1992 waren es insgesamt 1.191. Betroffen sind überproportional junge schwarze Männer, gefangen in einem Kreislauf aus Ghettoisierung, Stigmatisierung und Gewalt. Mord ist mittlerweile die häufigste Todesursache für schwarze männliche Jugendliche zwischen 15 und 24 Jahren. 80 Prozent dieser Morde werden mit Schußwaffen verübt, die jeder Halbwüchsige für ca 50 Dollar auf der Straße kaufen kann.

Die BürgerInnen in Liberty City und Overtown sind die letzten, die die individuelle Verantwortung der TäterInnen in den Hintergrund stellen wollen. Im Gegenteil, der Ruf nach härteren Gefängnisstrafen ist hier manchmal lauter zu hören als in Washington oder in Floridas Hauptstadt Tallahassee. Doch am wütendsten ist man darüber, daß den Tourismus-Enklaven jene Dienstleistungen im Übermaß geboten werden, die der Staat den afroamerikanischen Wohnvierteln in Amerikas Großstädten in den vergangenen Jahrzehnten genommen hat – angefangen bei ausreichender Straßenbeleuchtung über Freizeitangebote bis zu Polizeischutz. Mitte März wird der Prozeß gegen Cedric Green, Aundra Akins, Deron Spear und John Crumity eröffnet. Die Anklage lautet auf Mord. Im Fall von Spear und Crumity will der Staatsanwalt auf die Todesstrafe plädieren.