Die Gießkannen selber schleppen

Die Hochschulreform am ökologischen Risiko Wissenschaft ausrichten  ■ Von Christian Füller

Man müsse Gießkannen schleppen in wüstenhafter Zeit, begründete im abgelaufenen Semester Wolf-Dieter Narr seine Unternehmung, vor Studenten über die Idee der Universität zu lesen. In der Debatte um die Reform von Studium und Hochschule werde zu viel von Zahlen geredet. Jetzt gibt es zwei neue Literaturhinweise für den streitbaren Berliner Politologen. Die „ökologische Option“ ist die Alternative zur lean university entrümpelter und verkürzter Studiengänge Marke „Eckwertepapier“.

Manchmal ist auch Öko drin, wo Öko drauf steht. Michael Daxner und das Frankfurter Autorenduo Becker/Wehling stoßen die sinnentleerte Hochschuldebatte auf das Kernproblem der menschlichen Selbstzerstörung: „Forschung und Ausbildung sollen thematisch auf Problemlösungen für das Überleben konzentriert werden und sich gegen die gattungszerstörenden Prozesse wenden.“ So schreibt Daxner, der österreichische Intellektuelle, der mittlerweile im hohen Norden Präsident der Carl-von-Ossietzky-Universität ist. Egon Becker und Peter Wehling machen die Wissenschaften selbst zum Ausgangspunkt: Längst sei die Wissenschaft ein „zivilisatorisches Risiko ersten Ranges“.

Das Publikum weiß zwar von diesem Risiko. Giftbeutel landen an den Nordseeküsten, bunt-ätzende Chemiewolken ziehen über Hoechst. Aber die Leute fühlen sich nicht zuständig, sie wissen nicht Einfluß zu nehmen. Das ist kein Zufall, wie Becker und Wehling erläutern, beide Mitarbeiter des (außeruniversitären) Instituts für sozialökologische Forschung in Frankfurt. Die Entscheidungen über das, worüber geforscht und wie es verwertet wird, fallen in einem „Transformationskern“. Die kernphysikalische Metaphorik deutet schon darauf hin: Obwohl mit dem Transformationskern ein politischer Aktionsraum beschrieben ist, an dem Institutionen wie das Parlament beteiligt sind – die internen Abläufe sind nicht genau zuzuordnen. Sie entziehen sich der Öffentlichkeit.

Der schwer durchschaubare „wissenschaftlich-industriell-bürokratische“ Komplex kann so Forschungsergebnisse rasch in Produkte transformieren. Ein parlamentarischer, gar ein öffentlicher Diskurs der damit verbundenen Risiken – er findet nicht statt. Vorher jedenfalls nicht. Und hinterher? Die Technikfolgenabschätzung ist die „Fahrradbremse am Intercontinentalflugzeug“, höhnt Ulrich Beck, der Becker/ Wehling inspirierte.

Was das mit der Hochschulreform zu tun hat? Ein Beispiel: Die Humboldt-Universität soll Teil eines High-Tech-Parks werden. Amputiert von den geisteswissenschaftlichen Fachbereichen werden die Naturwissenschaften der Universität an den Rand der Stadt verlegt. Dort, in Adlershof, sind schon die chemischen Institute der ehemaligen Akademie der Wissenschaften ansässig. Die Industrie und die Wissenschaftsbürokratie stoßen hinzu – und so entsteht ein „wissenschaftlich-industriell-bürokratischer Komplex“. Wer weiß, was da geforscht wird? Im Nachbarinstitut hat man keine Ahnung, woran die Kollegen arbeiten. Derweil räsonniert Berlins Parlament über die Adlershofer Bebauungspläne. Otto Normalbürger freut sich über Hunderte, ja Tausende von Arbeitsplätzen. Und die kritische Hochschulöffentlichkeit ficht gleichzeitig einen harten Strauß mit dem Wissenschaftssenator – um „Langzeitstudenten“.

Das dürfte nie geschehen, wenn es nach Daxner und den Frankfurtern ginge: daß die „Studentenberge“ im Krisendiskurs der Hochschulen ökologisch orientierte Reformansätze unter sich begraben. Als Gegenrezept bietet Daxner die griffige „republikanische Option“ an. Die Fragen der Wissenschaft müßten verstärkt „öffentliche Angelegenheit“, ja „öffentliches Eigentum“ werden. An diesem Konzept kniebohren Becker und Wehling ein wenig herum: Es sei ziemlich fragwürdig, ob sich bei Daxner „eine reflexive republikanische und ökologische Wissenschaft herausbilden wird“.

Ein unnötiger Hieb. Denn sie selbst wollen und können nicht den Königsweg einer ökologischen Orientierung der Wissenschaft vorgeben. Vielmehr ist ihr Rezept der von unten erstrittenen, anti-hegemonialen Forschungsansätze ohne Daxners „republikanische Option“ gar nicht denkbar. Die Sozialökologen sehen zwei Ansatzpunkte, in denen Wissenschaft gezügelt und umgepolt werden kann: durch Interventionen in den Transformationskern. Und, wichtiger, durch „ökologische Allianzen“. Die bestehen aus ForscherInnen, die sich über Fächergrenzen hinweg Gedanken machen. Vor allem aber zählt dazu das Überschreiten der Trennlinie von Laien und Experten. Um im Bild zu bleiben: Eine Adlershofer Bürgerinitiative tut sich mit WissenschaftlerInnen zusammen. Sie kriegt heraus, was, wozu in den Laboren geforscht wird.

Aber wo bleiben die StudentInnen nur? An dieser spannenden Stelle, wo es um die Eingriffsmöglichkeiten der jungen Hochschulintelligenz geht, dort sinkt allen dreien – Daxner, Becker, Wehling – der Mut. Wer, wenn nicht die Studierenden, sind potentielle Mitglieder „ökologischer Allianzen“? Wer sonst schafft es so leicht, bis in den Transformationskern vorzudringen – etwa über Forschungsseminare? Mit der Emphase eines W.-D. Narr und dem Esprit des alten Humboldt ließe sich sagen: Das Gespräch zwischen dem forschenden Professor und dem Studenten ist der Ort einer ethischen Debatte schlechthin. Nur ist dieses Gespräch nachhaltig gestört: Einmal durch ein krasses zahlenmäßiges Mißverhältnis, zum andern durch eine Hierarchie, die der Beamtenstatus und die standesrechtlich zementierte Professoren-Majorität in allen Gremien bedingen.

Die beiden Bücher verdeutlichen erneut: Für die Studierenden muß das sine qua non jeder Reform der Hochschulen heißen: Demokratisierung. Klar wird aber vor allem, daß die junge Intelligenz ihre Gießkannen selbst schleppen muß, wenn sie wieder eine kritische Instanz in den Universitäten wie in der Gesellschaft werden will.

Egon Becker, Peter Wehling: „Risiko Wissenschaft“. Frankfurt, New York, Campus, 1993, 163 S., 39 DM

Michael Daxner, Heinrich-Böll- Stiftung (Hrsg.): „Die Wiederherstellung der Hochschule“, Köln 1994, 287 S., 12 DM