„Das Böse ist immer schon da!“

„Gurus, Geister, Heiler und Propheten“ – eine Ausstellung im Hygiene-Museum in Dresden. Steckt der Satan in Sekten, oder wohin hat sich das Böse verkrochen?  ■ Von Bascha Mika

Als Gott aus dem Blickfeld der Menschen verschwand, bekam der Teufel Probleme. Ohne den Kampf gegen seinen alten Widersacher irrte er nutzlos umher. Von Selbstzweifeln geplagt, versuchte er unablässig, seine Existenz zu begründen. Müde kam er an die Tür des Theologen. „Wer bin ich?“ fragte der Teufel. „Du“, sagte der Theologe, „bist das Böse. Du warst vom Anfang an da, als Erbsünde bist du den Menschen mitgegeben. Irgendwann, am Ende der Zeiten, wird dich das Gute besiegen, aber bis dahin brauchen wir dich noch.“ Das hörte der Soziologe, der gleich nebenan wohnte. „Halt!“ rief er, „so ein Aberglauben. Gut ist der Mensch, böse sind nur die Verhältnisse. Ändert die Gesellschaft! Macht die Welt besser! Dann hat das Böse ausgespielt. Weiche, Satan!“ Zufällig kam da der Psychologe vorbei. „Was redest du?“ fuhr er den Soziologen an, „der Mensch ist gespalten. Das Böse sind seine aggressiven und destruktiven Kräfte. Sie gehören zu den unbewußten Trieben, die das Bewußtsein immer wieder integrieren muß. Das Böse gehört einfach dazu.“ Verwirrt blickte der Teufel auf die Disputanten. Ich will, dachte er bei sich, an und für sich sein und niemandem dienen. Er fuhr in die Medien. Die suchten gerade nach einem Schuldigen für Krieg, Haß und Barbarei. Der Teufel kam ihnen durchaus recht. Als das immerwährende Böse, das sprungbereit hinter der dünnen Maske der Zivilisation lauert, hat er seitdem Konjunktur. Das Böse wird aufgewertet, eingestanden und genüßlich präsentiert. An seiner Existenz zweifelt niemand mehr.

Ein Feld der Verführung – durch das Böse?!

Lautlos schwingt das Pendel. Dreht es sich im Kreis? Wippt es hin und her? Bedächtig lugt die Wünschelrute durch ihre Verzweigung, spiegelt sich in einer winzigen Pyramide aus geschliffenem Kristall, verliert sich im Anblick der bunten Figuren auf den Tarotkarten. Werkzeuge der Magie. Doch dieses Mal ist das Handbesteck der Okkultisten seiner Aura beraubt. Es steht und hängt hinter Glas. In einem Schaukasten des Deutschen Hygiene-Museums in Dresden.

Das Hygiene-Museum zeigt Ausstellungen zu Mensch, Körper und Gesundheit. Das hätte mit dem Bösen nur bedingt zu tun, wenn es dieser in Europa einzigartigen Einrichtung nicht auch um die Hygiene des Geistes ginge. „Gurus, Geister, Heiler und Propheten“ heißt eine ihrer Expositionen, die sich mit aufklärerischem Gestus Sekten und Sektierer vornimmt. Das angesprochene Spektrum reicht von Esoterik und Okkultismus bis zu Satanismus und Jugendsekten, von der alternativen Psychoszene bis zum protestantischen Fundamentalismus. Ein weites Feld. Ein Feld der Verführung – durch das Böse?!

Wer fühlte sich berufener als die Kirche, zu dieser Frage Stellung zu nehmen? Kein Wunder also, daß die Ausstellung von einem Pfarrer, Joachim Keden, vom Volksmissionarischen Amt der Evangelischen Kirche von Westfalen, zusammengestellt wurde. „Die Kirche braucht keine Gelegenheit, um gegen das Böse zu kämpfen“, stellt Keden fest, um dann dem Teufel noch schnell ein Kompliment zu machen, „denn das Böse ist immer schon da!“ Mit Sekten befasse sich die Kirche nicht aus eigenem Antrieb. Anfragen wären zuerst von Betroffenen und deren Angehörigen gekommen. „Uns geht es nicht um den Kampf gegen unerwünschte Konkurrenz.“

Das versichert der Pfarrer den Museumsgästen auch schriftlich. „Nichts gegen spirituelle Sehnsüchte, nichts gegen religiöse und weltanschauliche Alternativen, nichts gegen kritische Anfragen an unsere Gesellschaft und an die christlichen Kirchen“, heißt es gleich auf der ersten Stellwand im Ausstellungsraum – eine von vielen Tafeln, an denen sich die BesucherInnen lesend abarbeiten können. „Wir behaupten auch nicht“, ergänzt Keden beruhigend, „daß man gleich vom Teufel besessen ist, wenn man mal mit einem Pendel hantiert.“ Selbst dem härtesten Satanisten werde empfohlen, den Arzt oder Seelsorger aufzusuchen.

In einer Ecke des Ausstellungsraums läuft ein Videofilm. „Die Moon-Sekte“, erzählt eine Aussteigerin auf dem Bildschirm, „arbeitet mit Liebesbombardierung.“ Ein anderes Mädchen berichtet über die „Wahren Christen“: „Immer wenn ich aussteigen wollte, dachte ich: Das ist der Satan, der mich rausholen will.“ Traurig guckt sie in die Kamera. Zehn- bis zwanzigtausend „Okkulttäter“ (Kripo-Jargon) soll es in der Bundesrepublik geben. Gesundbeter, Geistheiler, Kosmotherapeuten. Außer alten Menschen kommt – allen Vorurteilen zum Trotz – ein großer Teil der Okkultgläubigen aus dem linken Spektrum. Es sind Grüne und AnhängerInnen der Ökologiebewegung. Aus Enttäuschung über politische Utopien setzten sie ihre Hoffnung fortan auf Übersinnliches, behaupten Sozialwissenschaftler.

„Hier im Osten haben wir damit erst seit der Wende Probleme“, erläutert Christiane Hille, Pädagogin am Hygiene-Museum. Genaue Zahlen über SektenanhängerInnen in der Ex-DDR gebe es nicht, aber ihre Existenz lasse sich nicht leugnen. Weder die Dianetik-Center der Scientologen noch die Moonies in den Fußgängerzonen. „Vor allem die jungen Leute sind gefährdet. Der Satanismus zum Beispiel bietet für Jugendliche unwahrscheinliche Möglichkeiten, weil es genau um das Gegenteil von dem geht, was die Umwelt von den Heranwachsenden verlangt.“ Das Allerwichtigste seien Informationen. Dabei wäre dem Hygiene-Museum gar nichts anderes übrig geblieben, als eine Ausstellung der Kirche zu übernehmen. „Es gibt nur zwei Expositionen in Deutschland, beide sind aus christlicher Sicht.“

Hinter der Museumspädagogin, an einer Plakatsäule, die zum Expositionsensemble gehört, hängen papierne Nachweise für die Hoffnung auf ein spirituelles Leben – das oft im Spiritismus endet. „Freude in der Meditation“ (Sri Chinmoy). „Die Religion vom Licht und Ton Gottes“ (Eckankar). „Selbsterkenntnis, Wiedergeburt, geistige Alchemie“ (Rosenkreuzer). „Gewinnen Sie Kontrolle über das Leben“ (Scientology). Auf den Plakatbildern wandeln Menschen im goldenen Schein, öffnen sich Türen ins Unendliche, führen Wege über Berge ins Licht. Von der Verzückung zur Entrückung. Scheint's. Da wird für das Übersinnliche geworben, ohne Rücksicht auf die ästhetische Schmerzgrenze, geschweige denn auf die der praktischen Vernunft.

Was im Finstern wirkt, darf auch dort bleiben

Dafür leuchtet das Licht des gesunden Menschenverstands in der Ausstellung um so greller. „Wir wollen den Besuchern nicht vermitteln: Das ist böse, deshalb laßt es“, sagt Museumspädagogin Hille, „sondern wir wollen zeigen, welche Tricks und Mittel benutzt werden, um Menschen abhängig zu machen. Und abhängig zu sein, kann natürlich nicht gut sein.“ Denn es geht um die Freiheit des Geistes. Um diese ist es geschehen, wenn sich die Kräfte der Finsternis seiner bemächtigen. Und weil es von außen schlecht zu beobachten ist, wenn der Teufel in einen Menschen fährt, gibt es auch in der Ausstellung nicht viel zu sehen. Dafür um so mehr zu lesen. Da wird – Stellwand für Stellwand – das Übersinnliche rationalisiert, definiert, analysiert. Über miese Praktiken erfährt man viel, fast nichts darüber, warum sich Menschen von Scharlatanen und Schamanen, von okkulten Kräften und magischen Riten faszinieren lassen. Was im Finstern wirkt, darf auch dort bleiben.

„Jetzt kann ich zwar besser einschätzen, ob es sich um eine Sekte handelt“, erzählt ein Schüler, der mit seiner Fachoberschulklasse einschließlich Lehrer im Museum angerückt ist, „aber mein Selbstbewußtsein wäre sowieso zu stark, um auf so etwas abzufahren.“ Tönt da nicht ein teuflisches Kichern durch den Raum? Die Kumpel des Zwanzigjährigen aber nicken nur beifällig.

Sie scheinen sich ziemlich im klaren darüber zu sein, daß „nur Leute, die am Rande stehen“, sich einfangen lassen – auch wenn Untersuchungen das Gegenteil beweisen. Immerhin halten vier von fünf BundesbürgerInnen okkulte Erscheinungen für möglich, und jeder dritte glaubt an Hellseherei. Psychosekten, esoterische und okkulte Zirkel erfreuen sich wachsender Beliebtheit. Jetzt kratzt sich einer aus der 12köpfigen Schülergruppe doch noch nachdenklich am Stoppelkopf. „Ich weiß ja nicht“, gibt er dann zu, „reinfallen kann man vielleicht doch ziemlich leicht. Wenn die Gemeinschaft stimmt, und eine gewisse Wärme und ein Zusammengehörigkeitsgefühl vermittelt wird. Man wird ja zu nichts gezwungen, man hat ja das Gefühl, es freiwillig zu machen.“

Ratlos stehen die Jungmänner herum, werfen noch einmal einen Blick zurück auf die Bilder der Psychogurus: Auf San Myung Moon, mit seinem hinterlistigen Lächeln, auf das selbstzufriedene Gesicht von Bhagwan Shree Raajneesh, auf das hämische Grinsen von L. Ron Hubbard. Anführer von ewig Zukurzgekommenen und armen Schweinen? Oder das personifizierte Böse – Teufel für Zeitgenossen? – Nee, finden die Schüler. Metaphysische Erscheinungen und unheimlich-unterschwellige Phänomene haben sich ihnen nicht zu erkennen gegeben. Sondern nur Betrüger und geschickte Geschäftemacher.

Das ganz banale Böse. „Was böse ist, ist eine Frage der Definition und immer relativ“, stellt einer der Jugendlichen apodiktisch fest. „Das, was heute gut ist“, unterstützt ihn ein Mitschüler, „kann morgen schon böse sein. So, wie sich die Gesellschaft gerade verändert.“

Hetze oder Inquisition: Dem Teufel ist alles recht

Alles eine Frage des Standpunkts – so sehen es auch die, die den Stoff für die Ausstellung abgeben. Sie sind wütend, von meditativer Gelassenheit keine Spur. „Ein furchtbares Machwerk“, wird im Pressebüro der Osho-Bewegung, der Nachfolgeorganisation Bhagwans, gewettert. „Diese Hetze, diese Inquisition! Das Böse, das ist diese Ausstellung!“ Dem Teufel ist das alles recht. Er malt sich an die Wand und lacht sich ins Fäustchen. Öffentlichkeitsarbeit, denkt er, ist die Grundlage aller zwielichtigen Existenz. „Glauben Sie an den Teufel?“ wurde ein kluger Mann gefragt. „Nein“, antwortete der, „aber er wirkt.“