Bitterkeit über „undankbare Afghanen“

■ Schock nach Geiselnahme / Noch 1,5 Millionen Flüchtlinge in Pakistan

Karachi (taz) – Es war für die bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern eine schwierige Woche: Zuerst entführten drei afghanische Männer einen Bus mit pakistanischen Schulkindern. Als die Kidnapper darauf von einem Spezialkommando erschossen wurden, stürmte in der afghanischen Hauptstadt Kabul eine Horde von Demonstranten die Botschaft Pakistans und verwüstete diese just in dem Augenblick, als der pakistanische Außenminister mit Staatsoberhaupt Rabbani im nahen Präsidentenpalast konferierte. Tags darauf beschossen Unbekannte an der für Afghanen geschlossenen Grenze am Khyber- Paß einen – nicht besetzten – pakistanischen Grenzposten. Pakistans Öffentlichkeit reagierte mit Entrüstung. Im Grenzort Peshawar demonstrierten erstmals mehrere tausend Menschen gegen die Anwesenheit afghanischer Flüchtlinge. Pakistaner auf der Straße sagen erbittert, die Angriffe seien offenbar die Belohnung für die fünfzehn Jahre, in denen Pakistan den Freiheitskampf der Afghanen unterstützt habe.

Tatsächlich hätte der afghanische Widerstand gegen die sowjetische Besetzung ohne Pakistans Hilfe kaum so erfolgreich sein können. Seit 1979 hat das Nachbarland dreieinhalb Millionen Flüchtlinge aufgenommen, die logistische Infrastruktur für den Widerstandskampf bereitgestellt und die Versorgung mit Waffen und Nahrungsmitteln organisiert. Die ökonomischen und sozialen Folgen fallen noch schwerer ins Gewicht. Nach inoffiziellen Schätzungen sind weit über eine Million Afghanen aus den Lagern in die Städte gesickert und haben sich überall im Land angesiedelt. Ihre sprichwörtliche Selbstgenügsamkeit ebenso wie ihr lockerer Umgang mit dem Gesetz haben ihnen eine beachtliche wirtschaftliche Macht verschafft. In Peshawar kontrollieren Afghanen weitgehend das Transport- und Bauwesen, in Karachi beherrschen sie den Teppichhandel.

Aber gleichzeitig waren sie entscheidend daran beteiligt, aus Pakistan einen Waffen- und Drogenbazar zu machen. Und die Tatsache, daß die meisten Flüchtlinge Paschtunen sind – eine Volksgruppe, die auch diesseits der Grenze beheimatet ist –, erleichterte vielen von ihnen die Erschleichung der pakistanischen Staatsbürgerschaft. Noch leichter machten es ihnen allerdings die Regierungen in Islamabad, welche jahrelang nichts gegen den groben Mißbrauch unternahmen und den Widerstandsgruppen erstaunlich viel Freiraum einräumten. So sparen die Kommentare denn auch nicht mit Kritik an der eigenen Regierung. Besonders der ehemalige Militärherrscher Zia al-Haq hatte im afghanischen Poker seine strategischen Ambitionen verwirklichen wollen. Dazu gehörten US-Waffenhilfe ebenso wie das Streben nach einer Hegemonierolle in einem befreiten Afghanistan. Dies erklärt das Schalten und Walten der Mudschaheddin in den Lagern ebenso wie die gezielte Förderung einzelner Guerillaführer. Heute zeigen sich die Folgen dieser Politik: Neben der Schaffung einer neuen Minderheit in einem Land mit scharfen ethnischen Spannungen fehlt Pakistan auch die Autorität, um die Bürgerkriegsfraktionen an den Verhandlungstisch zu bringen.

Je länger die Kämpfe um Kabul anhalten, desto stärker drohen deren Folgen auch auf Pakistan überzugreifen. Afghanistans nomineller Premier Gulbuddin Hekmatyar versucht offenbar, die Hauptstadt auszuhungern, nachdem es ihm bisher nicht gelungen ist, sie mit konstanten Artilleriebeschüssen in die Knie zu zwingen. In Pakistan jedenfalls gibt es Beobachter, welche in der Entführung der Schulkinder ebenso wie in der Verwüstung der pakistanischen Botschaft eher Verzweiflungsakte sehen als antipakistanische Gefühle. Die Belagerer der Hauptstadt hoffen offenbar, daß der Überdruß über die ständigen Beschießungen und die immer knapper werdenden Rationen die Bevölkerung bald auch zu Verzweiflungsakten gegen den eigenen Präsidentenpalast anstacheln wird. Bernard Imhasly