„Grundgesetz ist steigerungsfähig“

■ Die kommende BVG-Vizepräsidentin Jutta Limbach (SPD) ist dagegen, über das Verfassungsgericht Tagespolitik zu betreiben

taz: In wenigen Tagen werden Sie schwören, das Grundgesetz getreulich zu wahren und ihre richterlichen Pflichten gegenüber jedermann gewissenhaft zu erfüllen. Schaut man sich die Auseinandersetzung um die Mahrenholz-Nachfolge an, so hat man den Eindruck, daß als dritte Verpflichtung zum Richteramt gehört, SPD und CDU gleichermaßen genehm zu sein.

Jutta Limbach: Obgleich sich diese Parteien gegenseitig blockiert haben, darf man doch nicht die Befürchtung haben, daß sich hier SPD-Richter und CDU-Richter bekämpfen. Die wissenschaftliche Forschung hat erwiesen, daß Richter relativ unabhängig von ihrem parteipolitischen Hintergrund agieren.

Was wird denn das spezifisch Sozialdemokratische Ihrer Richtertätigkeit sein?

Das spezifisch Sozialdemokratische besteht darin, daß Recht immer auch im sozialen Verständnis gesprochen wird, daß man auch immer um den sozialen Ausgleich bedacht ist. Dazu gehört, die Menschenwürde vornan zu stellen und Minderheiten zu schützen.

Ist das Wahlgremium noch geeignet, das Richteramt demokratisch zu legitimieren?

Das Gremium wird aus dem Kreis der Parlamentsparteien besetzt. Man sollte aber durchaus darüber nachdenken, wie man mehr Transparenz in diesen Wahlvorgang bekommt, etwa durch die Benennung mehrerer Kandidaten und ihre öffentliche Vorstellung.

Sie plädieren für eine öffentliche Anhörung nach amerikanischem Vorbild?

Ganz gefällt mir das amerikanische Modell nicht. Ich halte es jedoch für möglich, daß man über die Kandidaten informiert.

Das Bundesverfassungsgericht war bei den Bonner Politikern selten so gefragt wie in der letzten Zeit. Wird über das höchste deutsche Gericht zuviel Tagespolitik betrieben?

Ja. Vor dieser Entwicklung haben bereits mehrere Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts, der Präsident vornan, gewarnt. Wir haben ein Prinzip der Gewaltenteilung, und da haben die Regierung, das Parlament und das Bundesverfassungsgericht spezifische Aufgaben, und sie sollten sehen, daß sie nicht im Gefilde der anderen wildern.

Hätte sich denn das Bundesverfassungsgericht bei seiner Entscheidung zum § 218 darauf beschränken sollen, die Verfassungswidrigkeit der Regelung festzustellen, statt Vorgaben für die Einzelgesetze zu formulieren?

Um es kurz zu beantworten: Ich hätte mich so entschieden, wie es die Richter Mahrenholz und Sommer in ihrem abweichenden Votum getan haben.

Beim Asylrecht badet das BVG zur Zeit in einer Fülle von Einzelfallentscheidungen aus, was ihm der Gesetzgeber mit einer übereilten Gesetzesformulierung eingebrockt hat. Sollte das Asylrecht nochmals geändert werden?

Das werde ich sagen, wenn ich mich mit meinen Kollegen mit diesen Fällen auseinandergesetzt habe. Sie wissen, daß ich zu denjenigen gehört habe, die mehr Treue zum alten Artikel 16 durchaus förderlich gefunden hätten.

Sie werden sich mit dem Eid verpflichten, das Grundgesetz getreulich zu wahren. Gibt es dort Passagen, die sie als nicht mehr so bewahrenswert ansehen?

Das Grundgesetz ist bewahrenswert, gleichwohl halte ich es für steigerungsfähig. Ich würde es um plebiszitäre Elemente und auch soziale Staatsziele ergänzt haben wollen. Aber das ist uns leider in der gemeinsamen Verfassungskommission nicht gelungen.

Im Mai wird Herr Herzog unter Umständen zum Bundespräsidenten gewählt. Wären sie bereit, als erste Frau auch die Präsidentschaft des BVG zu übernehmen?

Also, heute freue ich mich erst mal über den ersten Schritt. Ich schreite zwar gerne mutig voran, aber ich will mir nicht heute Gedanken über das Morgen machen.

Sie würden aber auch nicht davor zurückschrecken?

Aber nein, bange machen gilt nicht. Interview: Dieter Rulff