■ Der westdeutsche Verfassungsschutz wollte gerade in Ostdeutschland sensibel sein. Die Schamfrist ist vorbei. In Halle werden wieder Spitzel angeworben wie zur Teit der Stasi
: Langfristiges Interesse

Keine Namen, kein Ort stehen auf dem Zettel. „Ausführliche Infos“ gibt es nur am 9. Dezember unter einer bestimmten Telefonnummer. Unter der Überschrift „Job“ annoncieren Unbekannte in den Kneipen von Halle (Sachsen- Anhalt): „Gutachterteam sucht MitarbeiterInnen zur Durchführung von Recherchen für die Konflikt- und Ursachenforschung auf den Gebieten Politik und Soziales“. Teamgeist sollen die Interessenten mitbringen, und sie sollen „an einer langfristigen Nebenbeschäftigung interessiert sein“.

Im Jahr fünf der deutschen Einheit ist die Scham vorbei, sind die Versprechungen offenbar vergessen, wonach der Verfassungsschutz im Stasi-geschädigten Teil Deutschlands besonders sensibel zu Werke gehen wollte. Was als Mitarbeit zur Ursachen- und Konfliktforschung gepriesen wird, erweist sich als Mittel der verdeckten Informationsgewinnung. Zielpersonen: „führende Köpfe der linken Szene in Halle“. Besonderes Interesse: Codewörter und der Zugang zu einem örtlichen Mailbox-System.

Dreist sind die Behauptungen, die die beiden Mitarbeiter der Firma Sawi-Plan, zwei Herren namens Berger und Reimann, vorbringen. Im Auftrag des Innen- und des Familienministeriums wollen sie tätig sein. Ihr Aufgabe sei, erklären sie den Interessenten, die sich gemeldet haben, eine Studie zu erstellen. Die solle sich „mit Gewalt im politisch orientierten Bereich“ befassen.

Der Kontakt zur Firma Sawi- Plan läßt sich nur über zwei Telefonnummern herstellen, die auf dem ausgehängten Flugblatt vermerkt sind. In einem Fall leiert in Frechen bei Köln, dem angeblichen Sitz der Firma, ein Anrufbeantworter. Über den zweiten Anschluß, ein Mobiltelefon, läßt sich der Draht zu Herrn Berger herstellen. Was Sawi-Plan eigentlich mache? Berger: Als selbständiges Forschungsteam „führen wir Recherchen durch auf den Gebieten Gewalt, Drogen, auch im Wirtschaftsbereich“. In letzter Zeit sei auch der Rechtsextremismus ein breites Feld „für uns und natürlich, was die Gewalt von Links angeht“. Der Auftraggeber sitzt nach Bergers Angaben im Bonner Innenministerium, Verhandlungspartner sei Regierungsdirektor Jung, Abteilung IS2.

Das Kürzel IS2 steht für die Dienstaufsicht über das Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz. Aber das will Berger nicht gewußt haben. Ob er es nicht problematisch finde, für eine solche, mit den Sicherheitsbehörden unmittelbar verwobene Dienststelle sozial-wissenschaftliche Studien zu betreiben? Es stört ihn nicht: „Wie die Studie bei unseren Auftraggebern bewertet wird, darauf habe ich keinen Einfluß.“ Weiter: „Ich habe den Auftrag, Tatsachen zu finden, diese zu bewerten und auch Verbesserungsvorschläge zu machen.“ Trotzig fügt er an: „Ob die das dann veröffentlichen oder in der Schublade verschwinden lassen oder sonstwas damit machen, darauf habe ich keinen Einfluß.“

Woher denn das ausgeprägte Interesse an Code- und Paßwörtern herrühre, was das denn mit Ursachen- und Konfliktforschung zu tun hätte? Berger: „Wenn man eine wissenschaftliche Studie erstellt, kann man nicht einfach reinschreiben: ,Es gibt ein linksextremistisches Vernetzungssystem.‘ Da müssen Sie schon Fakten beibringen.“

„Die haben nicht so ein enges Beobachtungsfeld“

Wann die Firma den Auftrag erhalten hat, wieviele Mitarbeiter damit befaßt sind, wie hoch die Fördermittel sind – all das möchte Berger nicht offenbaren: „Das sind wirklich Firmeninterna. Die gehen nur mich und meinen Auftraggeber etwas an.“

Aber auch der kann das Rätsel nicht lösen. Im Gegenteil. Klang die Genese des Forschungsprojektes bisher schon reichlich unglaubwürdig, setzt Regierungsdirektor Jung noch eins drauf. Sawi-Plan? Ja, die kenne er, aber eher flüchtig. Ein Herr Berger habe sich einmal bei ihm gemeldet und angefragt, ob Interesse an einer solchen Studie bestehe. „Ich habe gesagt, ja klar, das ist so etwas wie Job-controlling“ für den Verfassungsschutz. Der Mann in der Dienstaufsicht des Kölner Bundesamtes beteuert, das sei keinesfalls ungewöhnlich. Er wäre doch „mit dem Klammerbeutel gepudert“, wenn er nicht andere Studien als die der Verfassungsschutzbehörden oder des Bundeskriminalamtes lesen würde. Gerade in den vergangenen zwei, drei Jahren seien zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen im Bereich des politisch motivierten Extremismus erschienen. „Die fragen breiter, haben kein so enges Beobachtungsfeld.“ Was Herrn Berger aber angehe, so „hat es nie einen Vertrag oder Vertragsverhandlungen gegeben“. Ob jemals eine Mark an die Mitarbeiter von Sawi-Plan geflossen sei? „Von uns aus nie.“

Andere Verfassungsschützer können diesen Ausführungen nur mit Staunen folgen. „Absolut unüblich“, kommentiert einer, daß die Dienstaufsicht in der Sache aus eigenem Antrieb tätig werde. Eiserne Regel im Bereich der Sicherheitsbehörden sei zudem, sich als Nachrichtendienst nie der Dienste privater Anbieter zu bedienen. Und ein Anlaß, dieses Prinzip zu durchbrechen, sei in diesem Fall überhaupt nicht erkennbar.

Das Jungsche „Job-controlling“ erscheint auch einem anderen Verfassungsschützer abwegig: „So etwas ist mir noch nie untergekommen.“ Wenn schon eine wissenschaftliche Studie in Auftrag gegeben würde, dann würde dies das Bundesamt selber machen. Dem Mitarbeiter aus den alten Bundesländern scheint wahrscheinlicher, daß es sich bei der Aktion lediglich um „eine Scheingeschichte des Bundesamtes“ handelt. Besonders originell, urteilt er, sei diese Methode der Informationsbeschaffung zwar nicht, „methodisch ist sie aber nicht zu beanstanden“.

Spurensuche: Anfrage bei der Gewerbeaufsicht in Frechen. Für eine Firma Sawi-Plan oder einen ähnlichen Namen gibt es keinen Eintrag. Bei der zuständigen Industrie- und Handelskammer in Köln ist es auch nicht anders. Vom Handwerksbetrieb eines Klempners bis zum Großkonzern ist hier alles registriert – aber Sawi-Plan? Fehlanzeige.

Tapfer versucht Berger, am Funktelefon seine Legende aufrecht zu erhalten. Wieso der Regierungsdirektor Jung einen Auftrag an die Sawi-Plan dementiert? Das könne er sich nur damit erklären, daß die Studie noch nicht fertig ist. „Wir haben ihm gesagt, wir haben das vor, finanziert Ihr das?“ Er betont, eine finanzielle Zusage erhalten zu haben. Warum es dann im Innenministerium heiße, keine Mark sei an die Firma Sawi-Plan geflossen? Nun stottert Berger ein wenig: „Da muß ich noch mal mit ihm sprechen, bislang gab es da keine Probleme.“ Wieso seine Firma weder der Gewerbeaufsicht noch der Industrie- und Handelskammer bekannt ist? Schweigen. Der Mann legt auf.