Brot statt Kuchen

■ Wolf-Dietrich Sprengers Inszenierung der „Räuber“ im Thalia: Kein Geniestreich, doch überzeugender Ernst

Besinnung kehrt zurück und saugt den bunten Puder von der Szene. Die verlebte Architektur des Muskelspiels versinkt im Fundus und übrig bleibt auf der Bühne das Skelett, eine provisorische Zuschauertribüne ohne auch nur ein Gschmankerl (Bühne: Marcel Keller). Auch die Schauspieler sind wieder Schauspieler und keine sprechenden Möbel in einer Schlacht der Werkstätten.

Regisseur Wolf-Dietrich Sprenger hat sich die Kritik, die zuletzt immer heftiger an den Produktionen des Thalia-Theaters geäußert wurde, zu Herzen genommen. Seine Räuber sind knochig, kühl und ernst und in einem ganz unkitschigen Sinne spartanisch: Kein Thalia-typisches Gekaspere, eine Reduzierung auf die Farben Schwarz und Weiß mit wenigen roten Tupfern und eine schlanke Personenführung, die sich in jeden anderen Raum verlegen ließe, ohne grotesk zu werden. Das ist erfreulich, weil es seinen und des Publikums Blick wieder auf das Wesentliche lenkt: den Text und den Menschen, der ihn aus dem Schatten der Schrankwandbildung zu reißen hat.

Natürlich resultiert aus einem gelungenen Ansatz nicht zwangsläufig eine gelungene Inszenierung. Aber (welch erfreuliches „aber“) Dominique Horwitz als Franz Moor und Sven-Eric Bechtolf als Karl Moor geben dem Fernduell der Brüder - dem Prinzipienstreit „Nutzen“ wider „Ideal“ - zwei hochgeladene Pole, die auch dreieinhalb Stunden lang Spannung erzeugen. Zwar ist nicht ganz zu verstehen, warum Sprenger Horwitz so verblackridert (inklusive Grimasse, Unterlicht und Kostümen), aber dieser alberne Einfall fesselt das gewalttätige Verlangen des zuspätgeborenen Franz, das Horwitz souverän über das Spektrum vom buckelnden Ränkeschmied bis zum verzweifelten Libertin entwickelt, nicht an verbrauchte Bilder.

Bechtolf, zuletzt mehr durch meckernde Kapriolen aufgefallen, verleiht dem moralisierenden Räuber-Hauptmann, der die Verwirrung seiner hohen Prinzipien im Morden zu durchtrennen versucht, die stimmige Statur des schönen, tragischen Helden, dem der Wesenskern seines eigenen Tuns stets verschlossen bleibt.

Sprenger gelingt es zudem, die hochelektrische Moral Schillers dort, wo sie ihre Sinnverwandtschaft zum heutigen Denken verloren hat, durch die Verdrehung von Sympathien zu wenden, ohne ihren ursprünglichen Gehalt zu diskreditieren. Seine Konzentration auf das Schauspiel, seine Herausforderung an die Phantasie der Zuschauer, die diesmal Brot statt Kuchen vorgesetzt bekommen, macht sich bezahlt. Auch wenn diese Inszenierung sicherlich kein Geniestreich, keine Entdeckung eines völlig anderen Schillers darstellt, so reizt doch der Ernst und die Nacktheit der Betrachtung mehr Konfrontation mit dem Autor hervor, als jede der letzten Hamburger Klassiker-Inszenierungen der letzten Monate.

Till Briegleb