Mein Kampf-Hund

■ "Schweigen ist reden, Silber ist Gold" - Künstler hadern mit ihrem Schicksal, während piratene Neonazis in Mailboxen wüten: Eine Schlitterpartie zwischen Galerien, Kneipen und dem Weddinger Flohmarkt

Samstags um 14.30 Uhr gerät die Welt schnell aus den Fugen: Lokaltermin in der Galerie Giesler – Thomas Hornemann zeigt neue Bilder, und da passiert es. Eine einzige Bemerkung macht den Nachmittag zur Qual. Diese Bemerkung – ach hätte ich sie mir doch verkniffen! – verdonnert Künstler und Journalisten zu einer langen Stunde scheelen Beäugens und vorsichtigem Wortebalancierens. Und das alles wegen einem blöden Sätzchen über die Hornemannsche Malerei: „Hier bleibt ja alles im Rahmen!“ Gemeint war eigentlich die innere Rahmung, die den meisten „Hornemännern“ eigen ist, so daß man bei genauerem Hinschauen den Eindruck gewinnt, der Künstler zeige Atelieransichten von außen und damit Selbstbilder beim Malen, distanzierte Shots von den mehr oder weniger starken Momenten der Bildentstehung (soviel Erkenntnis war mir beim Betreten der Galerie noch nicht widerfahren). Hornemanns Verstimmung saß tief: Bumm. Ende der Vorstellung. Sack ab und Schluß: Ich sei der, der ich wäre, ich hätte und könne nicht! Ein Mann sah rot – Künstlerschicksale jetzt, Rezessionsspuren im Gemüt. Ich hätte gehen sollen. Doch erst mal Kaffee und Vorsicht... Der Künstler kocht weiter, und das kann er gut... Ganz langsam ändert sich die Stimmung – sind doch alles Menschen –, und ich schau auch wirklich auf die Bilder, sag' aber lieber erst mal gar nichts. Kaffee und Kataloge gucken: Hornemann hat ein Buch über seinen Istanbulaufenthalt gemacht. Zeichnen kann er, hat ein Gefühl für Formen, Farben und die Atmosphäre am Bosporus. Umständlich, wie nur Männer sind, kommen wir wieder ins Gespräch, und Hornemann reimt „Schweigen ist reden, Silber ist Gold“.

Kurz darauf erscheint Gerd Rohling. Kollegenbesuch, der bald erwidert werden soll, denn Rohling zeigt zum Zeitpunkt unseres Aufeinandertreffens gerade im Auktionshaus Christie's in der Fasanenstraße eine Ausstellung mit dem Titel „Back to Bombay“. „Altmeisterlich gemalt“, äußert sich Rohling über Hornemanns Kunst. Dessen Stimmung bessert sich darob erheblich. Ich lese derweil in der B.Z.: „Briefbomben in Berlin gebastelt?“ Oben links das Foto eines langhaarigen, schnauzbärtigen Typs mit Totenkopfstirnband. Unterschrift: „Material für Bomben gekauft? Arnulf Priem.“ Man erinnere sich: In Wien wurden mehrere Menschen durch rechtsradikalen Bombenterror schwer verletzt. Der Wiener Neonazi Peter Binder – von Beruf Elektroingenieur – wurde als Tatverdächtiger an der tschechischen Grenze auf dem Weg nach Berlin festgenommen. Zwischen der österreichischen und der Berliner Neonazi-Szene bestehen zahlreiche Kontakte.

Arnulf Priem nun, stadtbekannter Neonazi, wohnt im Wedding und besitzt einen Telefonanrufbeantworter mit dem Text: „Solltest du eine Macke oder ein rotes Brett vor dem Kopf haben, so wird deine Message nicht aufgezeichnet.“ Ehedem aus dem Osten für Westgeld „freigekauft“, war Priem Mitglied der Neonazi-Gruppe „Odin“. In der Fascho-Szene spielt er die Rolle des „brutal-romantischen Seeräubers“, den „Wilden Mann“ und Knallfrosch in Kutte mit Ketten, dessen Wohnung von außen mit Videokameras überwacht wird. Auf dem Dach gibt es eine Funkantenne. Ein ehemaliger Tresenzapfer erzählte mir, wie Priem und Kumpanen vor einigen Jahren eine Weddinger Alternativkneipe überfielen: „Priems Truppe, zirka sieben Typen aus dem Weddinger Schlägermilieu, stürmten rein und stellten sich an strategisch wichtigen Punkten auf. Totenstille im Lokal. Priem zückt einen Stift, malt ein Hakenkreuz an die Wand, setzt sich und wartet. Angst weht durch die Luft. Der Wirt, ein schmächtiger Mensch, setzt sich zu Priem und redet eine halbe Stunde mit ihm, daß das Viermächteabkommen solche Schmierereien verbiete und daß man ihm deswegen die Kneipe dichtmachen kann. Am Ende des Gesprächs steht der Wirt auf, nimmt den Stift, zieht vier weitere Striche und aus dem Hakenkreuz wird ein Fenster.“

Vor einigen Monaten wurde Priem im Wedding geoutet. Die Antifa klebte Hunderte von Priem-Steckbriefen. Wenige Tage später waren schon viele abgerissen und übermalt. Die Truppe funktioniert und ist bewaffnet. In einer Fernsehsendung über „Frauenbilder der rechten Szene“ träumt Priem von „der Frau für die Insel“: Typ Französin, Rundungen an den richtigen Stellen et cetera. Der Rechts-Rocker als Biedermann und denkbarer Brandstifter, der aus seinem bewachten Piratennest deutsch-nationale Parolen sendet – bis über allen Wipfeln Ruh' ist. Todessehnsüchtig, mit Goethe im Gepäck: „In allen Wipfeln/ Spürest Du/ Kaum einen Hauch;/ Die Vöglein schweigen im Walde./ Warte nur, balde/ Ruhest du auch.“

Ist das die neue Kultur des Weddings? Neonazis, die im Netz der Systeme ihre braune Suppe anrühren und den Wahnsinn per Mailbox, internationale Info-Telefone und Funk verbreiten? Rocker- Ästhetik, Gewalt und Brandsätze – mehr Licht?

Szenenwechsel. Der Weddinger Flohmarkt/Brunnenstraße an einem Sonntagmorgen: bunte Scheibe Wirklichkeit, in der sich Künstler und kleinere Portemonnaies ihren Haushalt zusammenklauben. Im Mai '92 installierte Gerd Rohling auf dem Gelände des Flohmarkts die Ausstellung „Der Sprung“. Die Idee dazu entstand, als der Künstler sah, wie aus einem Toilettencontainer im Eingangsbereich der Buden und Stände Pisse floß. „Es stinkt“, dachte sich Rohling, „hier fehlt nur noch ein Kampfhund.“ Den Kampfhund, ein Pitbullterrier, baute er übergroß aus Holz und legte ihn auf das Dach des Pissoirs. Weitere Pitbulls stellte Rohling auf die Ladefläche eines LKW, auf das Vordach einer Kirche und auf eine Leiter, an deren Ende eine dicke Salami baumelte. Außerdem veränderte er die Außenflächen einer nahegelegenen Würstchenbude: Zwei gemalte Säulen trugen ein Bild mit der Aufschrift „Form und Inhalt“. Die Objekte und Gegenstände schmiegten sich in den sozialen und ästhetischen Kontext des Flohmarkts. Kunst erschien als präzise Markierung von Wirklichkeit, überhöhte und karikierte die Realität und schuf eine fast museale Situation an unerwarteter Stelle. Wie ein Gegenstück zur Weddinger Installation erschien auch Rohlings Ausstellung „Back To Bombay“ in den Büroräumen bei Christie's. Auch hier wurde Vorgefundenes der Auslöser für das eigene Exponat: Zu einer Skulptur „Goldene Vier“ wurde Rohling durch den Namen einer Kneipe in Wedding inspiriert. Ein Foto der Gaststätte „Goldene Vier“ hatte der Künstler auf das Titelblatt der Kunstzeitschrift „New Art“ montiert, das nun neben seiner Skulptur der „Goldenen Vier“ hing.

Rohling nimmt die Dinge beim Wort und inszeniert sie oszillierend zwischen Realität und Fake. In einer Zeitung entdeckte er das Foto einer alten indischen Schachfigur, einen Springer, bestehend aus Pferd und bewaffnetem Reiter. Rohling baute diese Figur mit allen Details mannshoch nach. Schwert, Schild, Speer und Schmuck des Springers stellte er in Vitrinen aus, das Pferd verschwand bis auf den Schwanz in einer großen Verpackungskiste mit dem Aufdruck „Back to Bombay“. Weitere Kisten, in denen die Waffen verschickt werden können, standen auf dem Boden des Ausstellungsraumes. „Back to Bombay“ funktioniert wie ein plastisches Bilderrätsel oder Suchbild. Indem der Künstler einen Gegenstand nachbaut, auseinandernimmt und ihn neu anordnet, schafft er es, Möglichkeiten von Realität unter anderen als den bloß interessegelenkten und damit pseudopolitischen Intentionen zu erleben.

In Rohlings Werk existiert die Qualität einer Leidenschaftlichkeit – Sprache und Welt wörtlich zu nehmen, Worte und Dinge aufeinander zu beziehen, sie zu überprüfen und in neue Verhältnisse zu bringen. Diese Leidenschaft kann man als die eigentliche politische Kraft von Kunst betrachten. Genau solche Leidenschaft aber, die in „sozialen Bewegungen“ und künstlerischen Aktionen als Treibstoff wirkt, ist innerhalb der hohen Politik mittlerweile vollends abhanden gekommen. Und bei Rechtsradikalen und Gewalt- Skins ist sie ebenfalls nicht zu vermuten, denn die agieren in einem psychopathologischen Niemandsland, ferngesteuert von fremden Interessen und im Tohuwabohu gestauter Emotionen. Leidenschaft im Sinne einer Kategorie des Öffentlichen läßt sich heute nur in wenigen Zusammenhängen bestimmen und erleben. Einer dieser Bereiche ist trotz aller immanenter Widersprüche die Kunst, weil sich in ihr Ansätze der Glaubwürdigkeit eben durch Leidenschaft finden: Deshalb geht es um die Kunst und gegen den Kampf-Hund! Funken