Gleichwertig weiterverwertet

Die Zeit der aufgesetzten Poststrukturalismen ist vorbei, jetzt wird wieder selbst gezeichnet – Walter Dahn in einer künstlerischen Läuterungsphase: 30 Arbeiten auf Papier im Frankfurter Museum für Moderne Kunst  ■ Von Marietta Franke

Was lange währt: Unter der Leitung von Jean-Christophe Ammann hat das Museum für Moderne Kunst in Frankfurt als erstes Museum 48 Arbeiten auf Papier des 1954 geborenen Walter Dahn in seinen Bestand aufgenommen. Es handelt sich um farbige Zeichnungen mit dem Pinsel aus den Jahren 1974 bis 1991, regnerische Landschaften, menschliche Gestalten, vor allem erstaunte Gesichter, und gegenstands-, beziehungsweise figurlose Arbeiten, die sich sehr subtil mit Farbvolumina befassen und wie ein positiv-energetisches Feld wirken. 30 Arbeiten davon werden jetzt in fünf Sechsergruppen in einem gemeinsamen Raum mit Arbeiten von Rosemarie Trockel zum „Szenenwechsel V“ präsentiert.

Frühe Musealisierung, späte Zurückhaltung

Dahn zählte zu der Gruppe der sogenannten „Neuen Wilden“. Von Anfang an, das heißt mit Beginn der achtziger Jahre, zirkulierte seine Malerei in renommierten Galerien und überblicksmäßig angelegten Gruppenausstellungen, wie zum Beispiel der „Zeitgeist“- Ausstellung in Berlin 1982; zugleich ist der Beuys-Schüler mit seinen Bildern in den Sammlungen einiger recht angesehener Museen (Eindhoven, Köln, Dresden) vertreten.

Mit der Präsentation seiner zeichnerischen Arbeit hat Dahn jedoch relativ lange gewartet – mit dem Argument, daß ihm ja sonst nichts mehr übrig bliebe. Die erste Einzelausstellung seiner „Zeichnungen 1972-1985“ fand 1986 im Kunstmuseum Basel durch Dieter Koepplin zeitgleich mit der Einzelausstellung seiner „Gemälde 1981-85“ in der Kunsthalle Basel – damals übrigens von Jean-Christophe Ammann geleitet – statt. Gemeinsam leisteten die beiden Ausstellungen schon früh eine retrospektive Sicht auf die künstlerische Arbeit Walter Dahns, die damals doch gerade erst sechs Jahre in der Öffentlichkeit unterwegs war. Offensichtlich ist die Ausstellungs- und Werkgeschichte des Künstlers, was sein zeichnerisches Werk betrifft, nicht so kongruent.

Die Privatheit muß aufgegeben werden

Seit Beginn der neunziger Jahre hat Dahn die Gemälde-Produktion nun ganz und gar eingestellt; seither zeichnet er fast ausschließlich. Das Zurückhalten des zeichnerischen Werkes scheint der Forderung seines Lehrers Joseph Beuys, die Privatheit der künstlerischen Produktion aufzugeben, entgegenzustehen, wobei damit der Zeitpunkt der Veröffentlichung auch bei ihm keineswegs festgelegt war. Schließlich hat Beuys selbst sein zeichnerisches Werk („The secret book for a secret person in Ireland“), an dem er seit 1945 gearbeitet hatte, fast 30 Jahre lang nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch den Kennern seines Werkes erfolgreich verschwiegen.

Dem Gespräch zwischen Dieter Koepplin und Walter Dahn, das im Katalog zur Ausstellung der Zeichnungen 1986 veröffentlicht wurde, kann man entnehmen, daß es in der Produktion damals in erster Linie um die „Existenz des Bildes“ ging: „Das Bild analysiert die Zeichnung im großen Format“, so Dahn.

Bilder übertreiben, verdoppeln, simulieren

Diese analytische Haltung war ganz im Sinne des strukturalistischen Denkens, das in dieser Zeit dazu diente, eine wie auch immer geartete Öffentlichkeitsbeziehung der künstlerischen Arbeiten zu konstruieren. Sie war eben dann gewährleistet, wenn sich gewisse künstlerisch ausgelegte philosophische Positionen an ihr spiegeln ließen, wie etwa der Gedanke des Künstlers als Ethnologe (zum Beispiel in Anlehnung an die Schrift von Michel Leiris „Die eigene und die fremde Kultur“) und als Anthropologe (etwa im Sinne Claude Lévi-Strauss' und dessen Buch „Das wilde Denken“). Gerade im Zusammenhang mit den Afrika- Bildern Dahn/Dokoupils 1983 wird offenbar, daß nur ein Verhältnis der Simulation – übertreiben, verdoppeln, potenzieren – zu den formalen Mitteln in Frage kommen kann.

Dahn scheint diese Sackgasse bemerkt zu haben. Das zeichnerische Werk kommt mit leisen Schritten. Die Dimension: das „Schwarze Loch“ von Joseph Beuys – Stille. Viele Zeichnungen entstehen nachts – für Dahn ist die Vorstellung eines nächtlichen Tisches wichtig – in einer Atmosphäre von Ruhe und Konzentration. Zuviel Respekt vor der Theoretisierbarkeit der Malerei könnte zu dem Eindruck führen, daß man in die Zeichnungen leichter eindringen kann als in die Bilder. Die Sorge ist jedoch unbegründet. Die Sprachlichkeit und Lesbarkeit von Inhalten, die Dahn auf analytischem Wege mit seinen Bildern erzielen wollte, bekommt im Medium der Zeichnung eine ganz andere Chance, weil sie mit der Herstellung der Form verbunden ist. Hier zeigt sich die Qualität von Verdichtung in Form und Inhalt, die auf einer intuitiven, nicht konstruierten Kommunikation mit dem Material oder den formalen Mitteln beruht. Es geht nicht mehr in erster Linie um philosophisch-literarische Notwendigkeit, sondern um eine künstlerische Notwendigkeit – und natürlich noch vieles mehr.

Die Kommunikation mit dem Material bleibt

Dahns künstlerische Stärke könnte gerade darin liegen, die kommunikative Haltung, die Joseph Beuys mit seinem Werk in den Raum gestellt hat, formal- künstlerisch umzusetzen. Wenn Dahn sich durch die Abbildungen des Domschatzes zu Speyer an Beuys erinnert fühlt, dann geht es um eine Wahrnehmung, die untrennbar mit der künstlerischen Form verbunden ist, und um die Frage, wie man sein Bedürfnis nach Transzendenz unterbringen kann. Die Kunst besteht dann darin, sich als Beuys-Schüler der (absichtlichen) Überladung der künstlerischen Arbeit mit Inhalten – die immerhin schwer wiegen können – wenigstens eine Zeitlang zu enthalten; sich auf diese Weise vom Zentrum fortzubewegen und eine Art Läuterungsprozeß durchzumachen, damit die eigene Arbeit – künstlerisch gesehen – tatsächlich an der Peripherie (Jean-François Lyotard) bleibt. Seit 1989 befaßt sich Dahn mit der Gestaltung seiner Kataloge als Künstlerbücher wie im Fall seiner Arbeit mit dem Kunstverein München 1989 oder der Barbara Gladstone Gallery, New York 1990). Dort sind die „kritischen Inhalte“ derweil gut aufgehoben. Abbildungen seiner Bilder und sonstiges „gefundenes“ Bildmaterial oder eigene Fotos werden hier gleichwertig weiterverwertet, um zwischen den Seiten eine Message entstehen lassen zu können. Dabei geht es, wie er selber sagt, um Fragen, nicht um Antworten. Vielleicht um irgendwo anders hinzukommen.

„Szenenwechsel V“, u.a. mit Arbeiten von On Kawara, Robert Gober, Rosemarie Trockel und Walter Dahn, bis 15.5, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt/Main