Rußland dreht der Ukraine den Gashahn zu

■ Lieferungen an die Ukraine wegen Zahlungsverzögerung gedrosselt

Moskau (taz) – Rußland liefert kaum noch Gas an die Ukraine. Die halbstaatliche russische AG Gasprom hat seit Donnerstag ihre täglichen Erdgaslieferungen von normalerweise 114 Millionen Kubikmeter an die Ukraine um über ein Drittel gekürzt. Und gestern wurden sogar 80 Millionen Kubikmeter weniger Gas gliefert als vereinbart.

Wie eine Pipeline durchziehen die gar nicht oder nur unzureichend geleisteten ukrainischen Zahlungen für russisches Erdgas das Auf und Ab der Beziehungen zwischen den beiden Staaten. Am ersten März betrug die ukrainische Gas-Schuld gegenüber Rußland bereits eine runde Trillion Rubel.

Schon im Februar 1993 hatte Rußland der Ukraine zwei Tage lang kein Gas geliefert. Die jahreszeitliche Übereinstimmung der beiden Liefereinschränkungen ist kein Zufall: Am Ende der kalten Jahreszeit sind die Gasspeicher leer, und nur dehalb kann die Gasprom es sich leisten, ihr durchsichtiges Gold einige Tage lang innerhalb der Grenzen des eigenen Landes zu horten. Ansonsten vermag Rußland sein Gas nämlich genausowenig bei sich zu behalten wie eine Kuh die Milch in ihrem Euter.

Am liebsten sähe es die Gasprom, wenn die Frage im Sinne der Ausweitung ihres Monopols gelöst würde: Bezahlung der Schulden durch ihre Beteiligung an ukrainischen Gas-Speichern und -exportleitungen. Ein ähnlicher Vertrag konnte kürzlich mit Belarus geschlossen werden. Um erst einmal nicht über solche unpopulären Vorschläge reden zu müssen – schließlich stehen Wahlen vor der Tür – hat die ukrainische Regierung am Wochenende offenbar nun doch fix Bargeld aufgetrieben.

Die Gasprom ist aus dem ehemaligen sowjetischen Energieministerium hervorgegangen. Unter Führung ihres Top-Managers, des heutigen Ministerpräsidenten Rußlands, Viktor Tschernomyrdin, sicherte sich die Gesellschaft seit 1988 auf nicht ganz marktgemäße Weise eine Vielzahl von Privilegien vor vergleichbaren Gesellschaften innerhalb Rußlands. Mit einer offensiven Geschäftspolitik, die den Verkauf russischen Gases mit dem anderer Rohmaterialien und der Nutzung eigener Banken und Handelsorganisationen koppelte, entwickelte sie sich zu einer der mächtigsten internationalen Holdings. Der Tschernomyrdinsche Weg zur Stärkung der nationalen Wirtschaft brachte Rußland über die Gasprom zeitweilig ein Drittel seiner gesamten Jahreseinnahmen in harten Währungen.

Anfang Februar schlossen nach dreijährigen Verhandlungen die deutschen Firmen Wintershall AG, Verbundnetz Gas AG und EVG einen Vertrag über eine wesentliche Erhöhung der russischen Lieferungen nach Deutschland. Die Vision eines Gasprom-Imperiums von der Taiga bis an die britische Küste wird wahr, wenn, wie vorgesehen, in diesem Jahr die neue Midal-Pipeline dieser Gesellschaft Gas von der norwegischen Küste nach Süddeutschland transportiert.

Einen Haken allerdings hat diese Konzeption, solange russisches Gas an ausländische Abnehmer über die Territorien von Drittstaaten geleitet werden muß, kann es dort auch angezapft werden. Dies haben sich auch in der Ukraine schon einige Menschen zunutze gemacht. In der letzten Woche wurden dort täglich etwa 40 Mio. Kubikmeter für Europa bestimmtes Gasprom-Gas täglich stibitzt. Barbara Kerneck