„Extrem zu sein ist zur Zeit sehr cool“

30 SchülerInnen aus Rostock, Mölln, Hoyerswerda und Solingen auf der rechten Spurensuche ohne Erwachsene / Ursachen von Rechtsradikalismus aus der Sicht von unten  ■ Aus Solingen Walter Jakobs

Irgendwann hatte die fünfzehnjährige Solinger Gymnasiastin Gabi genug von den düsteren Schilderungen aus Hoyerswerda, von den Klagen über die alltäglichliche Bedrohungssituation durch rechte Schläger. „Ich kann mir nicht vorstellen, daß da gar nichts geht. Wir sollten jetzt weniger über das reden, wogegen wir sind, sondern darüber, was wir selbst tun können.“ Und dann erzählt Gabi von der Antifa-Gruppe an ihrer Schule, von dem Fest, das sie für Flüchtlingskinder organisiert haben, und sie spricht über die Hoffnung, „eine Art eigene Kultur zu entwickeln“. „Oh Mädel“, ruft da die gleichaltrige Realschülerin Sandra aus Hoyerswerda dazwischen, „du hast keine Ahnung. Wenn du dich bei uns organisierst, dann kriegst du sofort was auf die Fresse.“ Ausgehen könne man in Hoyerswerda abends nur in Gruppen, ergänzt ihre Freundin Sandy, „und fast jeder ist bei uns inzwischen bewaffnet“. Schon fast ungläubig verfolgt Sabine aus Mölln solche Schilderungen: „Nein, so extrem ist das bei uns nicht. Wir können auch mit den Rechten noch reden.“ Gesprächsversuche hat es auch in Hoyerswerda gegeben, doch die sind alle gescheitert: „Es endete immer in einer Klopperei“, sagt Sandy. Sie weiche deshalb in ihrer Freizeit so oft es gehe in andere Orte aus, z.B. nach Cottbus, „da herrscht ein anderes Klima“.

Sandra und Sandy tragen schwarze Boots mit roten und schwarzen Schnürsenkeln. Die Kombination symbolisiert für Sandra „Sympathie für Anarchismus“. Doch das autonome Outfit täuscht. Es suggeriert Klarheit, wo tatsächlich die ambivalente Suche nach Orientierung dominiert. „Ich will nicht links sein und auch nicht rechts, denn die Linken sind genauso bescheuert. Die kloppen auch rum“, erklärt die 15jährige Sandy in ihrem autonomen Outfit: „Vor allem die tierischen Autonomen aus Kreuzberg, die haben se nicht mehr alle.“

Selbständige Spurensuche über Ursachen von Fremdenhaß, Rechtsradikalismus und den Anstieg des gesellschaftlichen Gewaltniveaus, diese als „Schülerappell“ formulierte Idee hat die gut dreißig Jugendlichen und jungen Erwachsenen zwischen fünfzehn und neunzehn aus Mölln, Rostock und Hoyerswerda am Wochenende in Solingen zusammengebracht. Geboren wurde die Initiative von SchülerInnen des Solinger Humboldtgymnasiums, die ohne erwachsene Referenten und ohne jegliche Anleitung durch Lehrer den direkten Austausch möglich machen wollten, weil es, so die neunzehnjährige Lena, „dringend notwendig ist, daß Jugendliche selbst aktiv werden, um Mut und Courage zu entwickeln“.

Wenn Lena und die gleichaltrige Judith von beispielhaften Aktionen – etwa Spielnachmittagen mit Fünf- und Sechskläßlern – erzählen, dann stoßen sie bei ihren ostdeutschen Gästen regelmäßig auf Skepsis. „Ich weiß genau, da kommt nichts bei raus“, sagt Andrea aus Rostock. „Bei uns“, fährt die 16jährige dann fort, „muß die ganze Situation erst mal wieder ins Lot kommen, bevor wir was machen können.“ Was da „ins Lot“ kommen muß, erklärt Andreas aus Rostock so: „Ihr seid doch mit der Marktwirtschaft groß geworden, aber in der DDR hieß es Kapitalismus gleich Faschismus. Der Klassenfeind war der Wessi. Nach der Wende lautete die Parole dann, es lebe der Kapitalismus, hurra. Uns wurde in der DDR alles auf den Teller gelegt, und wir mußten es nur essen. Jetzt müssen wir es selber machen.“

Aus dem Frust und dem Schock nach der Wende, da sind sich die Schülerinnen aus Rostock und Hoyerswerda weitgehend einig, speise sich vor allem der jugendliche Zuspruch für rechte Gruppen im Osten. Andreas: „Wir wurden aus dem betulichen Nest DDR ins kalte Wasser Marktwirtschaft geschmissen. Da boten die Rechten Orientierung an, wie eine Insel im kalten Wasser.“ Neue Enttäuschungen und politische „Modetrends“ sorgten für zusätzliche Akzeptanz: „Kohl ist Scheiße, die Grünen haben nichts zu sagen, und Rot darf man nicht wählen. Extrem rechts oder auch links zu sein ist außerdem zur Zeit sehr cool.“

Und im Westen? „Wenn du das Gefühl hast, daß sich niemand um dich kümmert, sich niemand interessiert, dann entsteht Frust, und so hat es sich auch bei uns entwickelt“, glaubt Gaby aus Solingen. Deshalb kann sie die Hoffnungen, die ihre ostdeutschen MitschülerInnen mit dem Erreichen der westdeutschen Normalität verbinden, nicht teilen: „Hier läuft auch diese Kacke. Ich weiß nicht, ob ihr zufrieden seid, wenn ihr unsere Normalität habt.“ Die Diskussion, die Initiatorinnen wie Lena „total neu motiviert hat“, soll wahrscheinlich im Osten eine Fortsetzung finden.